Die Stellung der Musik in der Wissenschaft der Aesthetik zu betrachten, bietet grade
der Ort besondere Anregung, in welchem diese Zeilen geschrieben werden. Denn
unbestritten hat vor allen Städten Deutschlands Hamburg grosse und alte Verdienste
um die Tonkunst. Schon zur Reformationszcit unterhielt man dort Musikchöre, die
nach der Einführung des Kirchengesanges der Aufnahme und Würde desselben un-
gemein zu Statten kamen. Orgeln und Organisten werden in der Stadtgeschichte früh
Genannt- man besoldete Cantoren oder Sangmeister, stellte Zinkenisten und Posaunisten
an und verband deren Kunst mit dem öffentlichen Gesänge. Senat und Private ver
einigten sich, um durch gute Besoldungen, Schenkungen, Stiftungen den Musikern das
Leben angenehm zu machen. Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts blühte zu Hamburg
}ene erste deutsche Oper; welche selbst einen Haendel an die Hansastadt fesselte;
Tüchtiges leistete Keiser als Operncomponist; den Namen Matthesons braucht
man nur zu nennen, um an einen der originellsten Musiker des vorigen Jahrhunderts
zu erinnern. Durch seine zahlreichen Fachschriften ist er einer der ersten Lehrer
Deutschlands geworden; seine „Organistenprobe,“ sein „vollkommener Kapellmeister,“
seine Untersuchung der Singspiele,“ seine „kritische Musikgeschichte“ und viele andere
seiner Werke welche die Hamburger Stadtbibliothek nebst dem ganzen literarischen
Nachlass Matthesons als seltenen Schatz bewahrt — enthalten eine wahre Fülle noch jetzt
mustermlti^er Aussprüche über das Wesen der Tonkunst und beweisen, was auch
Forkel mit Wärme anerkannte, seltene musikalische Einsicht. Da Mattheson Latein,
Griechisch, Englisch, Französisch und Italienisch vollkommen verstand, so konnte er
alles lesen, was in diesen Sprachen über Musik geschrieben war. Die Ausbeute seines
Studiums kam seinen eigenen schriftstellerischen Erzeugnissen zu Statten, in denen
fortwährend „Noten den Text lebendig“ machen.
Etwa gleichzeitig mit Mattheson, dessen Bild freilich erst vollständig wird,
wenn man an den Pedantismus dieser echten Roccoccogestalt erinnert, wirkte in
Hamburg Telemann, jener geistreiche und forrnengewandte Vielschreiber, der mit