Druck von Schmidt & Klaunig in Kiel.
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Unsere zweite Folgerung ist eine therapeutische. Es ist klar, dass man mit Brechmitteln
durch das Brechen selbst direct keine forcirte Exspiration bewirkt, und dass die Empfehlung, die
Traube ihnen deshalb für die Behandlung verschiedener Respirationskrankheiten giebt, auf einem
Irrthum beruht. Allerdings soll nicht geleugnet werden, dass beim Menschen besonders das
Erbrechen von heftigen Exspirationen gefolgt ist. Diese haben aber einen andern Grund. Nach
Langet gerathen beim Menschen stets während des Erbrechens wegen der mangelhaften Ent
wicklung der Mm. ary-epiglottici Speisetheilchen in den über der Stimmritze liegenden Theil des
Kehlkopfs, die durch heftige Hustenstösse beseitigt werden. Bei den Thieren vermissen wir dies,
weil der obere Kehlverschluss ein besserer ist, beim Menschen aber bildet es die Regel. Wenn
es daher durch Einleitung von Erbrechen gelingt, Fremdkörper oder Schleimmassen aus den
Luftwegen zu entfernen, so geschieht dies indirect erst durch die dem Brechen folgenden Husten
stösse. Die in den Kehlkopf gefallenen Speisetheilchen wirken nicht anders wie eine Feder, mit
der man die Schleimhaut dieser Gegend kitzelt; es werden reflectorisch durch die Bahnen des
N. laryngens superior convulsivische Exspirationen ausgelöst. Möchte diese Erkenntniss zur Lösung
der Frage nach den Indicationen der Brechmittel, über welche die Meinungen im ärztlichen Publi-
um soweit auseinder gehen, eine Beihülfe liefern.
Zum Schluss erfülle ich noch eine angenehme Pflicht, indem ich Herrn Professor Bartels
und Herrn Professor Heller für die bereitwillige Unterstützung meinen besten Dank sage. Auch
unterlasse ich nicht, hinzuzufügen, das Herr Professor Bartels, bereits seit einer Reihe von Jahren
zu der Einsicht gekommen war, dass eine Inspiration gleichzeitig mit dem Erbrechen stattfinden
und aspiratorisch auf die Speiseröhre wirken müsse, wofür den Beweis zu liefern, mir in meinen
Versuchen gelungen sein möge.
VITA.
Ich, Bernhard Lüttich, wurde am 26. April 1850 zu Hameln in Hannover geboren. 1855
siedelte meine Familie nach Stade in Hannover über. Dort besuchte ich das Gymnasium von
Michaelis 1858 bis Michaelis 1868 und verliess dasselbe mit dem Zeugniss der Reife. Ich studirte
zunächst in Göttingen bis Michaelis 1871. Den Feldzug gegen Frankreich machte ich als Ein
jährig-Freiwilliger des Infanterie-Regiments Nr. 56 mit. Von Michaelis 1871 bis Michaelis 1872
studirte ich in Leipzig und dann fernere 2 Semester in Kiel. Das Tentamen physicum bestand
ich in Göttingen am 1. Februar 1871, das Examen rigorosum am 21. Juli zu Kiel.
THESEN.
1) Brechbewegungen können nicht direct zur Entfernung von Fremdkörpern und Secret aus den
Luftwegen dienen, sondern nur durch ihnen nachfolgende Hustenstösse.
2) Die Ansteckung bei den Infectionskrankheiten beruht wahrscheinlich in der Aufnahme specifischer
organisirter Stoffe in den Körper.
3) Um der Ausbreitung von Epidemien entgegen zu wirken, erscheint eine wirksame Spülung in
den Strassen und Häusern wichtiger als die Anwendung sogenannter Desinficientien.