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fener und P. wurde am io. Sept. 1850, also 2—3 Monate nach dem Unfälle als
nicht geheilt und untauglich zum Militairdienste aus dem Lazareth Altona entlassen.
Angekommen in seiner Heimath N., wo er bis zum Jahre 1849 als Wollen
weber thätig gewesen, versuchte er seine frühere Arbeit wieder aufzunehmen. Doch
hatte er >/ 2 Stunde am Webstuhl gesessen, so war er ganz entkräftet und musste
stundenlang die Arbeit einstellen. Er verzichtete bald auf die Weberei und über
nahm leichtere Arbeiten, Schreiben u. dgl. Er überzeugte sich nach einem Jahre,
dass sein Zustand langsam aber sichtlich schlimmer wurde, was er an der Abnahme
seiner Kräfte, besonders an einer immer grossem Schwäche der linken Körperhälfte
zu bemerken glaubte. Dies beunruhigte ihn jedoch nicht so sehr, dass er alle
Lebenslust verloren hätte. Patient heirathete 1854, also 4 Jahre nach dem Unfälle
und zeugte im ersten Jahre seiner Ehe eine jetzt noch lebende, gesunde Tochter.
Im zweiten Jahre der Ehe will er eine allmälige Schwächung seiner Zeugungs
kraft bemerkt und den Coitus nur noch selten und ohne Erfolg ausgeübt haben.
Wie sehr allmälig die Abnahme des Zeugungsvermögens stattgefunden hat, beweist
der Umstand, dass im 5. Jahre der Ehe noch ein fruchtbarer Beischlaf stattfand.
P- will jetzt schon seit vielen Jahren niemals eine Erection wahrgenommen haben.
1855 stellte sich P., nachdem er bis dahin in N. mit vieler Sorgfalt ärztlich
behandelt worden, der Kieler chirurgischen Klinik vor, wo ihn Prof. Esmarch wieder
sah, der ihn auch am Tage der Schlacht bei Idstedt im Feldlazareth untersucht
hatte. Es wurde eine chronische Erkrankung des Rückenmarks diagnosticirt und
dem P. Bäder und elektrische Behandlung verordnet. P. Hess sich dann von einem
Elementarlehrer in N., der im Besitze eines Apparates war, elektrisiren. Häufig
ö
war unmittelbar nach der Einwirkung des Stromes eine Kräftigung der atrophischen
Muskulatur zu bemerken, doch war diese Wirkung nur vorübergehend und P. gab
schliesslich diese Cur auf.
Bis zum Jahre i860, wo P. sich zum zweiten Male der Kieler Klinik vor
stellte, hat sich der Zustand so verschlimmert, dass P. sich selbst zu den leichtesten
Arbeiten zu schwach fühlte. Es wurde mm noch mit dem Inductionsstrome ein
Versuch gemacht, die sehr atrophische Muskulatur wieder zu kräftigen, leider
mit nur vorübergehendem Erfolg. Bald darauf wurde P. in der Heilanstalt des
Herrn Dr. H. ein Jahr lang behandelt, wo „schwedische Heilgymnastik“ versucht
wurde. Leider blieb Alles ohne Erfolg. Seit 10 Jahren hat nun P. jede Hoffnung
auf ärztliche Hülfe aufgegeben.
Auf Wunsch des Herrn Prof. Esmarch besuchte ich diesen Patienten im
Aug. 1872 und fand ein sehr trauriges Krankheitsbild:
Die Muskelkraft hat so allmälig aber stetig abgenommen, dass P. nicht nur
seit Jahren an das Bett gefesselt ist, sondern heute buchstäblich kein Glied mehr
rühren kann. Alle vier Extremitäten liegen spindeldürr, wie todte Körper neben
dem elendaussehenden Leibe. An den linken Extremitäten, welche während der