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dass er vor Gericht über die Ursache, die Dauer und den Ausgang eines solchen
Leidens ein in der Wagschale der Gerechtigkeit schwerwiegendes Gutachten aus
spreche. Wohl ist es da zu wünschen, dass der Arzt mit unserm Krankheitsbilde
vertraut sei, dass er sich nicht durch die oft harmlos scheinenden Initialsymptome
zu einer zu günstigen Prognose verleiten lasse; eine solche würde nicht nur das
Ansehen des Arztes, sie würde vor Allem Leib und Leben und die wichtigsten In
teressen seines Clienten aufs Höchste gefährden, denn bei einer Commotio me-
dullae spinalis ist dem Arzte nicht nur die Behandlung anvertraut, von seiner Er
fahrung, von seinem gewissenhaften und gewichtigen Wort ist es auch abhängig,
ob dem Verunglückten die Unterstützung, dem Misshandelten die Genugthuung, dem
armen babrikler, dem Commis-voyageur und dem Vaterlandsvertheidiger die ge
rechte und volle Entschädigung zu Theil werde.
Wir lassen jetzt unsere Fälle von Commotio medullae spinalis folgen:
I. Fall.
Th. Th. aus A., 12 Jahre alt, ein gesunder und kräftiger Knabe, wurde
am 10. September 1871 in der Sonntagsschule von einem Mitschüler auf den
Rücken geschlagen. Der Schlag wurde aus Scherz gethan und zwar mittels
eines Holzklotzes der gewöhnlichen Zeichenvorlagen. Bald danach ging der
Knabe zu Hause, eine Strecke von circa 10 Min. Der Schmerz, den er gleich
nach dem Schlage fühlte, hatte bis zum Nachmittage so weit nachgelassen, dass
er mit seinem Vater und seinen Brüdern nach O. spazierte, einem circa I / 2 St.
von A. gelegenen Orte. Auf dem Rückwege jedoch konnte der Knabe nicht
recht mitkommen, klagte über Schmerzen, doch ging er noch bis zu Hause mit
Unterstützung seiner Verwandten. Als er zu Bette lag, spürte er ein unangenehmes
Gefühl von Sangein, das besonders von den Füssen nach den Beinen zog. Man
Hess, als sich bis zum dritten Tage nach dem Unfälle der Zustand nicht gebessert
hatte, den Hausarzt kommen. Herr Dr. G., dem wir einen werthvollen schrift
lichen Bericht über diesen Fall verdanken, untersuchte genau den Rücken, beson
ders an der Stelle zwischen den Schulterblättern, wo der Schlag getroffen hatte,
doch war weder eine äussere Verletzung, noch Fractur oder Luxation der Wirbel
säule, noch sonst eine Erkrankung nachzuweisen. Patient konnte stehen und gehen.
Dabei zeigte er jedoch stets eine eigenthümlich steife Haltung seines Rumpfes. Fs
wurde noch ein zweiter Arzt consultirt, welcher auch nichts Bestimmtes finden
konnte. Es wurde dem Patienten fortgesetzte ruhige Lage, ausserdem Schröpf
köpfe, Eis u. dgl. auf den Rücken verordnet. Der Schmerz und das Sangein in
den Beinen schwanden allmälig und gegen Ende October verlangte der Knabe sehr
nach der Erlaubniss aufzustehen, was ihm jedoch aus Vorsicht noch weitere 14 Tage
lang nicht gestattet wurde. Nach Ablauf dieser Frist Hess Herr Dr. G. den Kna-