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dem sogar zunehmen gesehen. Wir verweisen z. B. auf den von Erichsen veröf
fentlichten 3. Fall, der auch noch dadurch ein besonderes Interesse bietet, dass der
betreffende Patient, ohne Narkose und ohne den mindesten Schmerz zu fühlen, sich
beide Beine amputiren Hess dicht unter dem Hüftgelenke, aus dem originellen Grunde,
dadurch einer unnützen Last enthoben zu sein und in seinem kleinen Wagen mehr
Platz zu gewinnen für Bücher u. dgl. Uebrigens bemerken wir, dass dieser Fall
nicht den Titel einer reinen Rückenmarks-Erschütterung in unserm Sinne bean
spruchen kann.
Solange nun die Patienten noch Bewegungen machen können, zeigen sie
eine eigenthümliche steife und unbiegsame Haltung. Stärkere Bewegun
gen der Wirbelsäule sind ihnen schwierig und oft unmöglich. Der Gang ist fer
ner höchst charakteristisch. Während sie oft im Bette die Extremitäten noch
nach allen Richtungen kräftig bewegen können, fällt doch das Stehen und Gehen
äusserst schwer. Sie stellen, um eine grössere Basis zu gewinnen, die Beine stets
gespreizt; ferner werden die Füsse nur höchst schwankend und unsicher angesetzt,
und taumeln die Patienten beim Gehen wie Betrunkene. Das Rückgrat wird dabei
ängstlich steif gehalten, auch der Kopf; am schwersten ist für sie. das Umdrehen.
Wollen sie dieses rasch besorgen, so empfinden sie oft plötzlichen Schmerz im Rücken.
Geht der Erkrankungsprocess vom Rückenmark über auf Medulla oblongata
und Gehirn, oder leiden diese Parthien des Centralnervensystems von Anfang an
gleichzeitig mit dem Rückenmark in Folge der Erschütterung, so können Krankheits
symptome im Gebiete der Psyche und der Sinnesorgane auftreten oder es tritt durch
Störung der lebenswichtigen Centren für Circulation und Respiration der lethale Aus
gang ein. Indess müssen wir uns, um das Gebiet der Commotio medullae spinalis
nicht zu verlassen, damit begnügen, diese Symptome und Complicationen angedeu
tet zu haben.
Endlich wollen wir noch die eigenthümliche Verschlimmerung des all
gemeinen Gesundheitszustandes erwähnen, die in der That auch etwas Cha
rakteristisches für unser Krankheitsbild zu sein scheint. Die Patienten, obschon sie
in der Regel gar nicht fiebern und ihre Verdauung etc. in Ordnung ist, gewinnen in
kurzer Zeit ein verfallenes, greisenhaftes Aussehen. Durchschnittlich erfolgt der
Tod durch Marasmus spätestens 3—4 Jahre nach dem Unfälle. Was den Ausgang
in den einzelnen Fällen betrifft, so können wir, abgesehen von den Fällen, welche
in ganz kurzer Zeit tödtlich verlaufen, welche übrigens auch wol selten reine Exem
plare von Commotio medullae spinalis, sondern mehr weniger mit Shok, Commotio
cerebri u. dgl. complicirt sein mögen, zur leichten Uebersicht 3 Formen reiner
Rückenmarks-Erschütterung unterscheiden:
1) Ausgang in vollständige Wiederherstellung. Ein treffendes Bei
spiel hierfür bietet der von uns unten veröffentlichte Fall No. 1. Es erfolgt dieser
günstigste Ausgang meist im Verlaufe von wenig Wochen oder Monaten. Dass in