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Schlaf nur schlecht gelingen, und statt Erquickung zu fühlen, klagt er am fol
genden Morgen über die gleiche Müdigkeit und Erschlaffung. Patient, bis dahin
stets ein rüstiger und eifriger Geschäftsmann, stets im Vollbesitze seiner Körper-
und Geisteskraft, beginnt nun trotz der Ermüdung und des Unbehagens sein ge
wöhnliches Tagewerk und entwickelt eine angestrengte ITätigkeit. Doch fühlt er
sehr, wie schwer ihm jede körperliche und geistige Arbeit wird, sie kostet immer
mehr Ueberwindung und bald (nach einem Zeiträume, der nach Verschiedenheit der
Fälle auch an Dauer verschieden ist, vielleicht von einem oder zwei Tagen, auch
einer Woche und mehr) sieht er sich unfähig zu weiterm Schaffen. Der Zu
stand beunruhigt ihn; er schickt zum Arzte. Dieser lässt sich den Unfall erzählen,
untersucht genau, kann aber durchaus keine objectiven Symtome einer Erkrankung
entdecken. Er räth einige Tage Schonung an, hoffend, dass Patient damit herge-
stellt werde. Doch bessert sich der Zustand nicht. Das unheimliche Gefühl von
Zittern und Sangein kehrt häufig wieder, mehr und mehr klagt Patient über zie
hende Schmerzen in den Gliedern. Dies Gliederreissen wird stärker beim
Gebrauch der Glieder, drum zeigt sich beim Gehen eine vorsichtige, eigen-
thümlich steife Haltung, weil bei dieser die Schmerzen am geringsten sind.
Diese Symptome machen den Arzt besorgt. Er untersucht nochmals genau,
findet aber nichts Verdächtiges. Doch räth er jetzt dringend zu absoluter Ruhe im
Bette. Hierbei mildert sich zwar das Gliederweh, doch fühlt der Patient im All
gemeinen keine Besserung, er merkt im Gegentheil eine zunehmende Schwäche
und Steifigkeit der Glieder. Nachdem Patient bis dahin muthig und hoffnungs
voll geblieben, wird er jetzt sehr niedergeschlagen. Noch glaubt er sich zwar nicht
ernstlich und dauernd verletzt, doch fühlt er, dass seine Geistes- und Körper
kraft gebrochen, dass seine Energie dahin ist, dass er alle Lust verloren hat.
Auch seine Umgebung und die Freunde merken, dass er nicht mehr der Alte ist,
und er selbst überzeugt sich allmälig mit Ergebung, dass er doch wol ernstlicher
beschädigt und gefährdet ist, als er anfänglich geglaubt hat.
Dies wäre ungefähr eine Schilderung des Anfangsstadiums und der primären
Symptome einer Rückenmarks-Erschütterung. Wir finden die hervorgehobenen Symp
tome mehr weniger in allen bis jetzt beobachteten Fällen von Commotio medullae
spinalis und werden gewiss den ganzen Symptomencomplex im gegebenen Palle
nicht leicht verkennen. Auch darf uns das Fehlen oder die geringere Prägnanz
des einen oder andern jener Symptome nicht irre machen. Ist z. B. ein Erschüt
terter gleich nach dem Unfälle wie gelähmt dagelegen, hat er nach Hause trans-
portirt werden müssen, und sind gleich Symptome der bedenklichsten Art in der
sensiblen und motorischen Sphäre aufgetreten, so kann Dies auch den mit dem
Krankheitsbilde einer Rückenmarks-Erschütterung vertrauten Arzt eine Zeit lang im
Zweifel lassen über die Natur der Schädlichkeit, welche das Centralnervensystem
erlitten hat, doch wird der ganze Symptomencomplex und sein eigentümlicher Ent-