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sind Zerrbilder, und doch besizt er grosses Talent und Einsicht in ästhetische Fragen.
Aber es fehlt ihm der moralisch-ästhetische Sinn, der auch einem derbbegabten
Genossen, Heinrich Leopold Wagner, völlig abgieng.
Aus ganz anderem Stoffe ist Klinger gegossen, eine kraftvolle, ernste Mannes
gestalt. Rousseau begeistert den Jüngling und zeigt ihm den schmerzlichen Widerspruch
von Ideal und Wirklichkeit. Die Anfangsworte des Emil: „alles kommt gut aus den
Händen des Schöpfers und alles entartet unter den Händen der Menschen“ sind der
Grundton seiner Lebensansicht und das Thema seiner Werke. Mit grosser Energie
tritt Klinger auf den Ringplatz der Genies und wählt zunächst nach dem Zeitgeschmack
die dramatische Form für die Gemälde seiner Phantasie, die er selbst kaum zehn
Jahre später als Explosionen des jugendlichen Geistes und Unmutes bezeichnete, als
Trau mbildungen der nach Thätigkeit und Bestimmung strebenden Jugendkraft. Weil
die wirkliche Welt der gährenden Entwickelung seines Wesens keinen Raum gab,
warf er sich in die vorgestellte, und da es ihm noch an Erfahrung, Bildung, Umgang,
Kampf als den Heilmitteln überspannter Ideale gebrach, erzeugte er jene wilden
Producte, welche mit ihrer rohen Form, den unnatürlichen Karacteren, den wüsten
Scenen merkwürdige Denkmale des Zustandes der stürmend drängenden deutschen
Jugend vor hundert Jahren bleiben. Die grelle Dissonanz tiefen Schmerzes über die
unvollkommene Wirklichkeit tönt aber nicht bloss durch diese Schauspiele Klingers,
sondern auch durch die Arbeiten seiner reifen Zeit, durch jene planvoll angelegte
Romanreihe, die er zur Darstellung seiner gewonnenen Denkungsart über die natür
lichen und erkünstelten Verhältnisse des Menschen, über sein ganzes moralisches
Dasein bestimmte. Aus ihnen solten Gesellschaft, Regierung, Religion, Wissenschaft, hoher
idealischer Sinn, die süssen Träume einer andern Welt, die schimmernde Hofnung
auf ein reineres Dasein in ihrem Werte und Unwerte, in ihrer richtigen Anwendung
und ihrem Missbrauche hervortreten. So vollzieht Klinger die Wendung auf sittlich
lehrhafte Ziele; die milde Schönheit harmonischer Kunst bleibt ihm auch jezt versagt.
Eine dritte Gestalt des jungen rheinischen Kreises ist Friedrich Müller
von Kreuznach, oder der Maler Müller wie er sich selbst benannte. Durch Volks
lieder und Volksbücher als Knabe genährt, gab er seinen biblischen und launischen
Idyllen einen derben deutschen Beigeschmack. Zu freierer Benutzung dieses nationalen
Elements arbeitete er sich in den pfälzischen Geschichten und manchem Liede heraus.
Auch sein bedeutendstes Werk, das Schauspiel Golo und Genovefa, ist von eigen-
thümlich volksthümlichem und romantischem Dufte durchzogen, aber beweist zugleich,
dass auch diesem Originalgenie nicht bloss die tiefere schöpferische Kraft, sondern
auch das Bewustsein von der reinigenden Aufgabe aller wahren Kunst fehlte. Hin
werfen und andeuten hielt Müller in Poesie und Malerei für allein genial, und entzog
sich damit der läuternden Zucht des vertiefenden Fleisses, ohne welche keiner zum
ganzen und grossen aufsteigt.