11
»lichterische Aufgaben: die Fragmente des Mahomed, des ewigen Juden zeugen dafür,
' v 'ie er sie namentlich in der religiösen Entwickelung der Menschheit suchte.
Und bald reizt ihn, der von Buffon und Herder gelernt hatte, die Beschäftigung
mit der Urbedingung des menschlichen Lebens, mit der Natur. Von der Natur-
c ‘mpfindung, die in seinen Hymnen und Liedern, die in dem Werther so reizvoll ertönt,
schreitet er weiter zum Naturverständniss. Die Erdfreundschaft, wie er seine geologischen
Studien nannte, gibt ihm merkwürdige Blicke in das Menschendasein, die Welt bekommt
mm ein neu ungeheuer Ansehen (Briefe an Frau v. Stein 1, 337). Er beginnt diese
Beobachtungen in den ersten weimarschen Jahren; das Fragment über den Granit
gibt ein herrliches Zeugniss von dem Einfluss derselben auf seine gesamte Anschauung,
denn alles was er thut, steht zu seinem ganzen in Verhältniss. So weist er durch
den Zusammenhang aller natürlichen Dinge den Vorwurf ab, den man ihm etwa
deshalb machen könne, dass er sich von der Schilderung des menschlichen Herzen,
des innigsten mannichfaehsten beweglichsten veränderlichsten erschütterlichsten Theils
der Schöpfung zu der Beobachtung des ältesten festesten tiefsten unerschütterlichsten
Sohnes der Natur, des Granits, gewant habe. — Goethe hat bald darauf die Botanik,
die vergleichende Anatomie ergriffen, weiterhin durch lange Jahre die Farbenlehre
gepflegt, überall ein sorgfältiger geistreicher Beobachter, dem sich bedeutsame Blicke
öffneten. Aus der genau beobachteten Gestalt des einzelnen sucht er das ganze zu
begreifen: sein Ziel ist, die Idee der Natur, das Urphränomen verstehn zu lernen.
Wenig Jahre, nachdem Goethe die herdersehen Anregungen in Strassburg
e mpfieng, steht er hoch über allen mitstrebenden; keiner kommt ihm nahe an Fülle
der Gedanken, an Schärfe des Blicks, an Kraft des Willens, an dem Zauber der
Persönlichkeit. Während er mit thätigem Sinne und im Gefühl entsagender Pflicht
daran arbeitet, die Räthsel im Menschen und in der Natur zu lösen, gefallen sich die
Genossen im eitlen Spiele der Leidenschaft oder verzehren sich in dumpfer Unbefrie
digung. Zur Erkenntniss der denkwürdigen Zeit gehört aber auch ihr Bild; mögen
denn einige derselben aus dem Schatten der Vergangenheit heraufsteigen!
Zuerst Jacob Lenz. Er war aus seiner baltischen Heimat als Führer zweier
hvländischer Junker an den Rhein gekommen und hier plötzlich zu warmem Leben
°i’wacht. Seine reizbare Natur sog die neue Lehre gierig ein. Der Worte mächtig,
empfindsam, phantastisch wähnte er mit Goethe im dichten und lieben um den Preis
r,n gen zu können. Aber er gieng darin elend zu Grunde; die stark gespannten Saiten
Anrissen den schwachen Rahmen der Harfe. Lenz, der unerfahrenste Mensch, im
Grunde ein unerzogen Kind, meinte als Rousseauist zum Weltverbesserer Beruf zu
haben. Als Werkzeug wählte er das bürgerliche Schauspiel, jene Gattung also, welche
Lessing durch seine Sara Sampson einführte, worin das, was der englische Familicn-
J'oinan erzählend leistete, durch dramatische Vergegenwärtigung erstrebt ward: die
Entwickelung des tragischen nämlich im bürgerlichen Leben. Die Comödien von Lenz