y
sind deshalb aus seinem Reisejournal die Sehulpläne. Auch hier erkennen wir, wie
irüh Herder über Rousseau hinausgieng. Statt mit Rousseau Zeiten zu preisen die
nicht mehr sind und nie gewesen sind, statt Romanbilder zu schaffen (Lebensbild II,
185), denkt er an eine geistige Hebung, nicht an einen wilden Umsturz der Erziehung,
ivie Basedow und die andern Philanthropisten. Die Schule soll so viel möglich
National- und Provinzialfarbe bekommen, die Erziehung für alle Welt aber das Ziel
sein.
ln einem Lebensalter, da die meisten Menschen das überlieferte sich aneignen,
tritt Herder mit einem Reichthum neuer Gedanken vor sein Volk. Er hat sie dureh-
a us nicht alle selbst gefunden, aber er hat sie eigenthümlich gestaltet. Herder ist
kein kritischer, kein systematischer Kopf, er ist bei allem wissen kein grosser
Geleh rter; aber er ist reich an unmittelbarer Anschauung, an feiner Anempfindung,
an gefühlvoller Ahnung. Nationalität und Humanität bringt er zum Bewustsein als
die grösten Mächte; seine Auffassung des menschlichen gibt der Wissenschaft unge-
kannte Aufgaben und erweckt eine neue deutsche Poesie.
Ein wundersames klingen, ein frühlingsartiges duften gieng damals durch die
deutschen Lüfte. Wenn man sich in die ersten siebziger Jahre des vorigen Jahr
hunderts vertieft, gedenkt, man des Ostermorgens im Goethischcn Faust: es ist als
herrsche der Frühlingsfeier freies Glück, als habe den lebensmüden Menschen die
h>rde wieder gewonnen. Der Enthusiasmus des Lebens begeistert das neue
Geschlecht. Jugendliches erstaunen über den Reichthum der menschlichen Natur
leuchtet aus den jungen Augen und zugleich blitzt darin die Entschlossenheit, das
üeue Lebensideal gegen die alten Mächte zu behaupten.
Wenn die Zeit reif ist, erfüllt sie sich in einem grossen Menschen. So
erschien damals Goethe: ein vollkommenes Mannesbild wird er der Dichter der
neu gefühlten Natur, des neu angeschauten Menschen.
Es gleicht einer Fügung dass der Student Goethe in Strassburg mit dem
reisenden Herder zusammentraf, der die Schalen seines Wesens zerbrechen und ihm
die Aussicht in das neu entdeckte Land des Geistes öffnen rnuste. Homer und
Shakespeare, die hebräischen Dichter und Ossian, die griechischen Philosophen und
das Volkslied, antike Plastik und die Architectur des Mittelalters deutete ihm Herder
aus der Fülle seines Geistes; Empfindung und Leidenschaft, ahnungsvollen Instinct
predigte er als Hauptgaben des Poeten. Der knospende Blütenbaum sprang auf, der
schönste Lenz unsrer Poesie war erschienen.
Die correcte Lyrik der Leipziger Jahre Goethes springt nun um in den tief-
erregten, aus Schmerz und Wonne geborenen, himmelanstrebenden Gesang der nach-
strassburgischen Periode. Während er vorher Schäferspiele und Intriguenstücke nach
französischem Muster schrieb, bildet er jetzt, von Shakespeare durchglüht, seinen
Götz von Be rl ich in gen als das Denkmal einer kräftigeren Zeit Deutschlands, da
2