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Die wichtigste Frage für den Praktiker ist immer nach der Prognose. Man
wusste von Alters her, dass es Geschwülste gäbe, welche nach der Exstirpation
nicht wiederkehrten, und solche, die nicht allein in der Operationsnarbe und ihrer
unmittelbaren Umgebung wiederkehrten, sondern auch in gleicher Weise in den
Lymphdrüsen und in inneren Organen auftraten. In Folge dieser Beobachtung
theilte man die Neubildungen ein nach ihrer Gefährlichkeit, ihrer leichten oder
schweren Heilbarkeit, oder wie man es gewöhnlich nennt, ihrer Gut- oder Bös
artigkeit. Förster bemerkt hierzu: ,,Es mag eine solche Eintheilung auch vielleicht
für die Kunst zweckmässig und erspriesslich sein, wissenschaftlich ist sie jedenfalls
eben so wenig, als eine Eintheilung der Thiere und Pflanzen in nützliche und
schädliche, giftige und essbare, wohlriechende und stinkende etc. Uebrigens möchte
wohl noch sehr zu bezweifeln sein, ob die Kunst wirklich Gewinn von einer solchen
Eintheilung hat, und möchte wohl auch hier der übrigens allgemein gültige Satz
sich bewähren, dass der Vortheil, den die Kunst aus strenger und inniger Ver
bindung mit den Grundsätzen der Wissenschaft zieht, viel schwerer in die Wacr-
ö
schale fällt, als alle der äusserlichen Zweckmässigkeit entnommenen, in letzter Linie
doch nur scheinbaren Vortheile.“ Ein genaues klinisches und anatomisches Studium
warf aber sehr bald dies System von der Gut- und Bösartigkeit über den Haufen,
man erkannte, dass die Verhältnisse viel complicirter waren. Die pathologische
Anatomie unterschied dann nach äusseren Kennzeichen und Formen, Namen wie
Polyp, Scirrhus, Fungus etc. kamen auf. Auf diesem äusserst unvollkommenen
Standpunkt verharrte die Lehre von den Geschwülsten, bis Johannes Müller die
feinere mikroskopische Structur der Neubildungen als Eintheilungsprincip aufstellte.
Durch seine Arbeiten rückte unsere Lehre zwar ein gut Stück weiter, doch waren
die Untersuchungen immer noch ziemlich oberflächlich. Eine bedeutsame Förderung
auf diesem Gebiete gab uns erst Virchow, indem er von seinen cellularpathologi
schen Anschauungen ausgehend wieder mehr Einheit in die ganze Lehre brachte.
Damit kam denn auch wieder der klinische Standpunkt zu Ehren, nachdem derselbe
lange Zeit durch den pathologisch-anatomischen in Folge der gewaltigen Fort
schritte, die diese Disciplin in den letzten Decennien gemacht, verdrängt worden war.
Von allen Neubildungen sind unstreitig klinisch am wichtigsten die beiden
Geschwulstspecies, welche man als bindegewebige und epitheliale Gewächse unter
scheidet und als deren Repräsentanten wir an der Spitze der einen das Sarkom
an der der anderen das Carcinom treffen. Nicht allein in anatomischer Beziehun<>-
o
herrscht zwischen diesen beiden Geschwulstformen die grösste Verschiedenheit, es
hat vielmehr auch die klinische Beobachtung bemerkenswerthe Unterschiede zwischen
ihnen hervorzuheben.
Es sei hier gestattet, näher-auf das klinische Verhalten der Sarkome einzu
gehen, durch welches sie gerade dem Arzte das grösste Interesse abverlangen.
In keiner Gruppe von Gewebsneubildungen ist scheinbar der Gegensatz von Gut-