Full text: (Band XIX.)

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der sich die Versöhnung der drei Parteien im Staate zur Aufgabe machte und wesen 
dieser vermittelnden Stellung zum Gesetzgeber gewählt wurde. 
Die Meisten haben den sichren, bedächtigen Weg eingeschlagen, indem sie, 
wie Epheu sich um starke Bäume rankt, sich in ihrer Jugend an ältere Männer von 
Ansehen anschlossen, so nach und nach Wurzel schlugen und an ihnen hinauf wuch 
sen. Dabei geniesst man die Vortheile der Macht, ohne Verantwortlichkeit und Ge 
fahr in gleichem Maasse tragen zu müssen. Nachher haben sich freilich manche so 
Emporgekommene gegen ihre Meister in selbstsüchtigem Ehrgeiz undankbar und 
schnöde gezeigt, während Andre dieselben bis zu Ende geehrt haben, wie Körper, 
die von der Sonne beschienen sind, durch Rückstrahlen den Glanz derselben erst 
recht offenbaren und erhöhen. Alles aber kommt auf die richtige Wahl des Führers 
und Beschützers an. Wie nicht jeder Baum die Weinrebe um seinen Stamm duldet, 
vielmehr manche sie ersticken und nicht aufkommen lassen, so verweigern ehrgeizige 
und herrschsüchtige Staatsmänner jungen Leuten gleichsam die Nahrung, indem sie 
ihnen keine rechte Gelegenheit in die Geschäfte einzutreten gewähren, sie unter ihrer 
Eifersucht erdrücken und welk machen. Einem geistig Ueberlegenen, wie Sulla dem 
Marius gegenüber, glückt es wohl trotzdem den Widerstand über den Haufen zu 
werfen und sich geltend zu machen. In der That erhöht vielmehr ein grosser Mann 
Macht und Ansehen durch Pflege eines jungen Nachwuchses, wenn er statt allein zu 
stehen vorzieht inmitten einer Menge bedeutender Köpfe der erste und bedeutendste 
zu sein. An einen solchen muss man sich anschliessen, und zwar in Vertrauen und 
Bescheidenheit, nicht wie der Zaunkönig des Aesop, der sich auf die Schultern des 
Adlers setzte und dann plötzlich ihm stolz voranflog. Wer nicht zuerst ordentlich 
gedient hat, sagt Plato, vermag auch nicht gut zu regieren. 
Solider gute Bürger sich jedem Amt, das ihm übertragen wird, unterziehen, auch 
dem unbedeutenden, kleinlichen Geschäft? Plutarch denkt demokratisch genug, um sich 
zu dem W ort des Themistokles zu bekennen, nicht nur das Amt bringe den Mann zur Gel 
tung, sondern auch der Mann das Amt, und hat selbst, ohne das Lächeln der Durchreisen 
den zu scheuen, als Polizeimeister das Vermessen von Ziegelsteinen, Fuhren von Sand 
und andrem Baumaterial beaufsichtigt. Vornehmer dachten Andre. Wie die beiden 
grossen Staatsschiffe Athens nicht für jede, sondern nur für wichtige und feierliche 
Sendungen benutzt wurden, so müsse auch der Staatsmann sich für Hauptactionen 
aufsparen. Als verwerflich jedenfalls erscheint jene Vielgeschäftigkeit, die an den 
lächerlichen Ehrgeiz des Theagenes erinnert, der unermüdlich in jedem gymnastischen 
Wettkampf jeder Art auftrat, keinem neben sich einen Sieg gönnte, und so einen 
wirren Haufen von 1200 Kränzen zusammenbrachte. So setzen diejenigen, welche 
sich zu jedem öffentlichen Geschäft drängen, sich nur dem Missfallen des Publicums 
aus. Sie werden unbequem, erwecken Eifersucht, wenn sie Erfolg haben, Schaden 
freude, wenn ihnen etwas misslingt, und die anfängliche Bewunderung ihres Eifers
	        
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