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sagt auch Hegel: Thaulow Gymnasial - Pädagogik im Grundrisse S: 206. „Zucht
kommt her von ziehen zu etwas hin, und es ist eine feste Einheit im Hintergründe^
wohin gezogen und wozu erzogen werden soll, damit man dem Ziele adäquat werde.
Es ist ein Abthun, ein Abgewöhnen als Mittel der Hinführung zu einer absoluten
Grundlage. Hier muss man nicht meinen, blos mit Güte auszukommen; denn gerade
der unmittelbare Wille handelt nach unmittelbaren Einfällen und Gelüsten, nicht
nach Gründen und Vorstellungen.“ Wie wahr diese Worte Hegels sind, muss uns
die Erinnerung au den sanguinischen Petrus lehren; doch hat die Schule auch der
Anschauung Herbarts Rechnung zu tragen, der die Individualität zum Ausgangspunkt
nehmen, dem Willen des Zöglings mehr in sokratischer Weise 'seitens der Intelligenz
beikommen und also die Erziehung vorzugsweise durch den Unterricht bewirken
will. Die Ansichten dieser beiden Philosophen über die Individualität und deren
Behandlung schliessen einander nicht aus. Wenn Hegel die Individualität einschrän
ken will, so hat er, wie wir vorhin gesehen haben, die unberechtigten Eigentümlich
keiten derselben, besonders die eigenwillige Selbstsucht irn Auge, die sicherlich ein
Grundübel der menschlichen Natur, der Feind jedes reinen, edlen Strebens ist; Her
bart dagegen versteht unter der Individualität, insofern sie gerade die Grundlage und
der Ausgangspunkt für die weitere Entwickelung des Kindes sein soll, die Summe
der vorhandenen Vorstellungsmassen und die leibliche Disposition, zu der er auch
das Temperament rechnet, das sich vorzugsweise in der Reizbarkeit für Affecte
äussert.
Doch treten wir einmal im Geiste in die Schule vor die eben in dieselbe
aufrenommenen Kinder. Viele von ihnen haben ein entschieden sanguinisches Tem-
perament, und da man, wie bereits früher bei der Darstellung der Schleiermacher-
schen Lehre von den Temperamenten gezeigt wurde, nach der verschiedenen Span,
nung, welche Receptivität und Spontaneität zulassen, von verschiedenen Temperaments
zuständen reden und der Jugend im allgemeinen ein mehr oder weniger sanguinisches
Gepräge zuschreiben kann, so werden auch viele von den übrigen Kindern eine
gewisse sanguinische Färbung zeigen und mancherlei Eigenthümlichkeiten mit den
specifisch sanguinischen Naturen gemein haben. Das gilt namentlich von der gross
städtischen Jugend, die sich infolge des buntbewegten, die mannigfaltigsten Anschauun
gen im schnellsten Wechsel ihr darbietenden öffentlichen Verkehrs durch eine
eigenthümliche Oberflächlichkeit im Anschauen, Voreiligkeit im Denken und Sprechen
und grosse äussere Beweglichkeit und Unruhe kennzeichnet. Natürlich muss der
Lehrer solchen, man kann wohl sagen, sanguinischen Eigenthümlichkeiten seine volle
Aufmerksamkeit widmen. Die Zeit, wo man die Neulinge erst durch vielstündige
Uebung ans Stillsitzen gewöhnte und die Wirkung des gewichtigen ersten Schrittes
in die neue Schulwelt durch längere geistige Unthätigkeit abschwächte, ist überwun-