Full text: (Band XVII.)

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Doch die Mutter hat, abgesehen von einer derartigen Vorbereitung ihres 
Kindes für die Schule, noch die hohe Aufgabe, den positiven religiösen Grund in 
dem Herzen des Kindes zu legen. Die Knie der Mutter ist der natürliche Altar, auf 
dem das Kind zuerst von Gott als dem lieben Vater aller Menschen und dem Hei 
lande hören und beten lernen soll. Treffend sagt Dr. Stoy in seinen pädagogischen 
Bekenntnissen: „Die Kraft edler Jugendeindrücke, wie sie ein christliches Mutterherz 
geben kann, überwindet vieles Böse, und nach vielen Jahren strahlt mitten aus dem 
Dunkel der helle Schein der ersten Liebe wieder und nur herrlicher hervor. Oder 
hat jemals ein edler Sohn der edlen Mutter vergessen? Wie oft mag schon an dem 
Hügel, unter dem ein treues Mutterherz schlummert, die Thräne der Reue geflossen 
und der Schwur der Besserung erneuert worden sein! Und so wie die Mutter unter 
Thränen und Angst den mit den Wogen des Lebens kämpfenden Jüngling vom Ufer 
aus mit dem sehnenden Auge ohne Unterlass sucht, so verliert das Kindesauge der 
Mutter Antlitz auf allen seinen Wanderungen durch’s Leben nimmer aus dem Ge 
sichte. Ja, am Abende des Lebens, „wenn das matte Auge zu den blauen Bergen 
der Kinderzeit sich zurückwendet, da steigt hernieder von den Höhen die verklärte 
Gestalt der Mutter ihm entgegen, und er labt sich an den lieben theuren Ziio-en.“ 
Wenn aber die Mutter als Genius des Kindes die Gottesfurcht als den Anfang 
aller Weisheit in sein empfängliches Gemüth pflanzt, so muss sie darauf achten, be 
sonders dem sanguinischen Zöglinge gegenüber, dass ihr eignes sonstiges Verhalten, 
so wie der ganze Ton des Hauses, dessen Hohepriesterin sie ist, ihren Worten ent 
spreche. Auch die Uebereinstimmung mit dem Vater, der als Oberhaupt der Familie 
die Erziehung des Kindes überwachen und im Leben desselben gewissermassen die 
Puncte setzen muss, während die Mutter für Komma und Semikolon sorgt, ist dem 
kleinen Sanguiniker recht fühlbar zu machen. Im entgegengesetzten Falle entsteht 
in seinem Fühlen, Denken und Wollen eine unheilvolle Dissonanz, durch welche jede 
gedeihliche Entwickelung seines ohnehin zum Wankelmuthe geneigten Wesens un- 
möglicht gemacht wird. 
Die Bildung fester Grundsätze und die Befolgung derselben fällt dem Sangui 
niker in seinem späteren Leben so schwer, und darum müssen gute Gewohnheiten 
ihm in der frühesten Jugend, wo die Einwirkung auf das Gemüth am sichersten und 
die Aufsicht noch leicht ist, anerzogen und gleichsam zur zweiten Natur gemacht 
werden. 
Dahin gehören auch kleine, namentlich regelmässig wiederkehrende Dienste 
in der Häuslichkeit, wie die Pflege von Blumen oder Vögeln — natürlich unter ge 
nauer Ueberwachung —• und kleine Aufmerksamkeiten gegen die Eltern; doch müssen, 
wie Hegel hervorhebt, alle häuslichen Leistungen der Kinder nur die Erziehung zum 
Endzweck haben.
	        
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