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Beurtheilung der damals in vollem Gange befindlichen französischen Revolution, sich
auflöste, stets aufs Engste befreundet geblieben.
Als Hülfsprediger zu Landsberg an der Warthe in der Neumark, 1794 1796,
hat Schleiermacher sich unter Anderem auch des Jugendunterrichts sehr eifrig an
genommen. Sodann aber, während er von 1796 bis 1802 zu Berlin als reformirter
Piediger an der Charite oder dem vom Könige Friedrich Wilhelm I. daselbst gegrün
deten grossen Krankenhause und darnach von 1802—1804 als reformirter Prediger,
mit dem Xitel eines Hofpredigers, zu Stolpe in Hinterpommern wirksam war oder bis
um die Zeit seiner Anstellung als ausserordentlicher Professor der Theologie und Phi
losophie und als Universitätsprediger an der lutherischen Universität zu Halle im Jahr
1804, in der Zeit von seinem 28sten bis gegen sein 36stes Jahr hin, durchlief seine
vorbereitende Entwickelung im Wesentlichen ihr letztes Stadium und zwar so, dass er
schon inmitten dieser Uebergangsperiode 1799 seine erste reformatorische Hauptschrift,
die Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern, herausgab.
Keinesweges war die Fortbildung Schleiermachers während dieser Jahre aber
eine bloss theoretische, sondern eben sowohl wesentlich zugleich eine praktische und
mne individuell persönliche. Wie sehr nemlich in dieser Zeit allerdings namentlich
auch seine Studien der alten und der neuen Philosophie, so wie sein eigenes philo
sophisches Nachdenken fortgeschritten sind, davon legt mit Anderem ganz besonders
seine 1803 von Stolpe aus erschienene eminent scharfsinnige und kenntnisreiche
Schritt: „Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre“, Zeugniss ab. Dem
gegenüber werden uns aber zuvörderst der Eifer und die Tüchtigkeit, womit er gleich
falls während aller dieser Jahre als Prediger wirkte, durch die 1801 erschienene erste
Sammlung seiner Predigten bezeugt, welche im Wesentlichen schon jetzt die seinen
1 icdigten bleibend eigenthümlichen Vorzüge treuen Bekenntnisses zu Christo, sittlich
religiösen Ernstes, logischer Klarheit und Evidenz, warmer Theilnahme an Allem, was
die Avahren und entscheidend wichtigen menschlichen Interessen betrifft, vollständig,
an sich tragen. Ganz besonders waren jedoch auch die eigenthümlichen socialen
Verhältnisse, in welche Schleiermacher damals zu Berlin eintrat, für die Entivickelung
und Ausprägung seiner persönlichen Individualität von der grössten Bedeutung.
Sehr genau schloss Schleiermacher sich damals nemlich den hoch- und fein-
gebildeten Kreisen an, in welchen namentlich geistreiche jüdische Frauen, aus der
Familie des berühmten jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn z. B. und andere,
hervortraten. Ganz vornehmlich mit Einer derselben, der kenntnissreichen und Aviss-
begierigen, fein und richtig empfindenden, edel- und hochgesinnten, so A\üe zugleich
majestätisch schönen Henriette Herz, gebornen de Lemos, die 1817, besonders zufolge
du von Schleiermacher empfangenen Anregung, zur evangelischen Kirche übergetreten
ist, veiband den körperlich ihr sehr ungleichen, kleinen, etwas venvachsenen Schleier
macher, den übrigens sein geistvolles Antlitz und sein edler Geist auch körperlich in