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Hochgeehrte Yersammlung!
Auf dem Postament des Lutherstandbildes zu Worms, das am 25. Juni d. J., dem
Lage der Uebergabe des augsburgischen Bekenntnisses im Jahre 1530, feierlich enthüllt
worden ist, haben vier Statuen ihren Platz gefunden, welche sämmtlich Männer aus
der Zeit vor der Reformation darstellen, den Petrus Waldus, den John Wiklif, den
Johann Hus und den Girolamo Savonarola. Sie alle sind aus der Zahl der so^e-
nannten Reformatoren vor der Reformation, der Zeugen ihres Geistes und ihrer
Vorläufer schon in den früheren Jahrhunderten.
Es giebt aber auch Reformatoren nach der Reformation inmitten der evan*
gelischen Kirchen selbst bis auf die neuesten Zeiten hin. Denn es ist das Werk der
Reformation kein todter Buchstabe, so dass eine bestimmte besondere Form ihres
Wesens für immer genügen und vor jedem Verfall sichern könnte.
Als der Protestantismus grossentheils zu einem blossen Lehrgesetz der Orthodoxie
geworden war, da ist es vor Anderen der Stammvater des kirchengeschichtlich sogenannten
Pietismus, Philipp Jacob Spener, gewesen, der gegen 1700, im evangelischen Deutschland
besonders, als ein neuer Reformator, die praktisch sittliche Bedeutung des Dogma und
das priesterliche Recht auch der Laien zu geistlicher Thätigkeit in ihrem Bereiche
nachdrücklich zur Geltung gebracht hat.
Als aber späterhin in Deutschland der Glanz weltlicher Bildung nicht bloss
die Finsterniss des Wahnglaubens verdrängte, sondern auch das milde Licht der
wahren Religiosität zu überwältigen begann, da ist es um 1800 vor Anderen Friedrich
Daniel Ernst Schleiermacher gewesen, der Mann, dessen hundertjährigen Geburtstag
wir heute begehen, welcher, ebenfalls ein Reformator nach der Reformation, die
ächte Frömmigkeit im Verein mit der weltlichen Bildung anzuerkennen und zu
pflegen erfolgreich angewiesen hat. Mit Recht wird daher vom heutigen Tage an
sein Standbild aut der Zinne der Nicolaikirche zu Hamburg sich erheben.
Freilich kann man. Schleiermacher nicht etwa bloss als Theologen, Geistlichen und
kirchlich reformatorischen Mann rühmen, sondern auch als besonnenen, tiefblickenden