I. Die Friedstätten.
1. Zunächst erkennen wir die gottesdienstlichen Orte als Friedstätten.
Wir wissen über den Cultus der heidnischen Germanen leider wenig; allein
so viel sagen sichere Zeugen aus, dass die Nähe der Gottheit besondere Weihe aus
strahlte. Unsere Vorfahren empfanden vor den heiligen Höfen und Hainen einge
borene Scheu: nur gefesselt, als unfreie vor Gott, wagten die swebischen Abgeordneten
das Volksheiligthum im Semnonenwalde zu betreten; wer zufällig darin fiel, durfte
nicht wieder aufstehen, sondern muste sich auf der Erde hinauswälzen (Tacit, germ,
c. 39). *) Nach Tacitus Bericht von dem Ncrthusdienst stund das Bild oder Symbol
der Göttin auf einem verhüllten Wagen, den nur der Priester berühren durfte. Bei
dem Umzuge durch das Land herrschte voller Friede und an allen Orten, durch
welche der Wagen fuhr, hohe Freude (Germ. c. 40). 2 )
Die scandinavischen Lieder und Geschichtsbücher sprechen weiter. Nicht bloss
in den mythischen Götterwohnungen, z. B. in Odins Walhalle, in Oegis Trinksaal,
waren Friedstätten (gridhstadir), 3 ) welche Äsen und Jöten achten musten; sondern
auch in den von Menschen errichteten Heiligthümern. Kein bewaffneter durfte ihnen
nahen; Friedlosen war der Aufenthalt darin verboten, den Männern jeder Verkehr
mit den Frauen untersagt. Wer in ihnen eine Gewaltthat, besonders Totschlag ver
übte, verlor seine Mannheiligkeit und konnte den Frevel nur mit seinem Blute sühnen. 4 )
Beraubung des Tempels gehörte darum zu den schwersten Verbrechen. Die Friesen
brachten solchen Missethäter auf die Flutgränze des Meeres und opferten ihn der
beleidigten Gottheit, nachdem man ihm die Ohren geschlizt und ihn entmannt hatte. 5 )
Als die kristlichen Bekehrer ihre Arbeit in dem deutschen Volke begannen,
führten sie die wuchtigsten Schläge gegen das Heidenthum durch den handgreiflichen
Beweis der ungestraften Verletzung der heiligen Bäume und anderer Cultstätten. Ihre
Axthiebe fällten nicht bloss da^ Holz, sondern erschütterten auch den Glauben an
den Götterfrieden. Sie konten nun das Bild des weissen Krist auf den Trümmern
aufstellen, worin der dunkele Wotan und der rote Donar ihr Heiligthum gehabt hatten.
Doch war der Kampf gegen die ererbte verehrende Scheu vor den heidnischen
Höfen und Hainen nicht so rasch beendet; dieselben blieben noch durch manche
') Eine dunkele Erinnerung an geheiligte Waklstellen, die zu betreten verboten war, mag in
der noch lebendigen Volksinoiniing von Platzen in gewissen Wäldern sich verraten, aus welchen
man sich nur mit grösster Mühe und in verwirrter Angst hinausfindet.
2 ) laeti tune dies — non bella ineunt, non artna sumunt; clausum omne ferruin; pax et
quies tune tantum arnata, tune tantum nota.
3 ) Lokaglepsa 14. Snorra Edda 108 (Rask).
4 ) Landnamab. II, 12. Vigaglumss. c. iS. Egilss. c. 19. Olafs Tryggvas. s. c. 47. Olafss.
helga c. 86. Fridthiofss. c. 1. 2. 9. 10,
5 ) 1. Fris. addit. sapient, tit XI.