Full text: (Band XII.)

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lieh das Medium des Lernens für Kinder, das leichteste Medium. Und Dante ist be 
ständig Anschauung, beständig Gestaltung und immer an seiner eigenen Person dar 
gestellt, weshalb man die göttliche Komödie auch ein Epos nennen kann. Dabei ist 
allerdings ein ungeheures Gebiet der gelehrten Forschung bei Dante, wer die 3 Thiere 
gewesen, wer die Person und jene, was diese Anspielung zu bedeuten habe und jene; 
aber er wäre kein Dichter, wenn sein Werk nicht zugleich von jedem tieferen Ge- 
müth in unmittelbarer Weise ohne Kunde des gelehrten Apparats gelesen und ge 
nossen werden könnte. 
Da nun des Dichters Material die Sprache ist, wie beim Architekten der Stein, 
bei dem Maler die Farbe, bei dem Musiker der Ton, so kann man auch keinen Dichter 
übersetzen. Uebersetzung ist noch weniger als das Verhältniss eines Gypsabdrucks 
zum Original in der Plastik. Dante’s Werk ist nur ein Kunstwerk in dieser spe- 
cifisch-italienischen Sprache und in diesem specifischen Versmaass und Reime der 
Terzinen. Wie sein Wort bald braust wie das brandende Meer und bald wieder 
hingleitet wie die Woge, die von keinem Lüftchen aufgeregt wird, das kann man, 
sagt Schlosser mit Recht, nur in seiner italienischen Sprache empfinden. Aber leich 
teres Italienisch giebt es nicht als das Dante’s, und daher dürfte nicht überspannt 
genannt werden eine Forderung, die ich in Betreff unserer Gymnasien geltend ge 
macht habe, dass in der Prima der Anfang mit dem Lesen Dante’s zu machen sei. 
Ich habe mich in einer ausführlichen Schrift hinreichend auf die Seite der Concen 
tration im Gymnasialunterricht gestellt. Aber wie man in der Gartenkunst von einer 
Weinrebe oder einer Rose nur einen kleinen Zweig in die Erde zu versenken hat, 
um ohne Mühe von selbst ein neues selbstständiges Gewächs zu erzielen, so würde 
aus dem Stamm des Lateinischen mit Einer Stunde wöchentlich in der Prima in Einem 
Jahr ohne Müh und Arbeit die Lectüre der göttlichen Komedie sich ergeben. 
Sauer ist es dagegen im späteren Alter mit einer fremden Sprache zu beginnen und 
darum lesen so Wenige den Dante im Original. 
Indess beurtheile ich den Dante doch nicht falsch? Zeige ich nicht ganz deut 
lich in diesem Urtheil über ihn, wie weit ich davon entfernt bin, seine Tiefen zu 
fassen und zu verstehen? Werden aber nicht Homer und die griechischen Tragiker 
früh gelesen und sind sie deshalb weniger ein unendlicher Gegenstand für Männer? 
Ist das Buch aller Bücher nicht zugleich für Kinder und Männer und deshalb ewig 
und unendlich! Am liebstengedenke ich der merkwürdigen Worte Göthe’s; „Eigent 
lich lernen wir nur von Büchern, die wir nicht beurtheilen können; der Autor eines 
Buchs, das wir beurtheilen können, müsste von uns lernen. Deshalb ist die Bibel 
ein ewig wirksames Buch, weil, so lange die Welt steht, Niemand auftreten wird und 
sagen, ich begreife es im Ganzen und verstehe es im Einzelnen. Wir aber sagen be 
scheiden, im Ganzen ist es ehrwürdig und im Einzelnen anwendbar.“
	        
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