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gemeinsame Muttersprache hatte und schuf ihm eine Muttersprache. Vorgearbeitet
war ihm allerdings durch den Hof Friedrich II., des Hohenstaufen 5 aber Dante fühlte
das Werk zur Vollendung. Er verfasste eine Schrift de vulgari eloquentia, in welcher
er nachwiess, dass ein Volk eine vulgäre Sprache haben müsse und eine grammatische;
die vulgäre sei die Muttersprache, das Italienische in seiner reinen Gestalt, die Blüthe
aller Dialecte, die grammatische sei das Latein, ln dieser Trennung des Latein von der
Muttersprache liegt die neue aera für die classische Welt. Und was Dante theoretisch
verfocht, das führte er praktisch aus in seiner göttlichen Comödie. Wer nicht daran
glaubt, dass die Gottheit dann und wann in der Schöpfung von Genies Menschen so
zu sagen als Stellvertreter unmittelbarer göttlicher Schöpferkraft hinstellt, der gedenke
dieser sprachbildenden Kraft in Dante.
Und welche Sprache schuf er !
Dies führt uns zu dem dritten und letzten Gesichtspunkt für die Beurtheilung
der Grösse Dante’s, auf seine welthistorische Bedeutung, auf Dante als Dichter oder auf
seine göttliche Comödie.
Das grosse Dichter Wesen höherer Ordnung sind, berufen ihren Mitmenschen
zu sagen, was ihr eigentliches innerstes Wesen ist, wer wollte es läugnen ! In diesem
Sinn preist schon Michelangelo den Dante, indem er von ihm singt:
„Ein Stern von hoher Kraft, erschloss er strahlend
Uns Blinden die Geheimnisse, die ewigen.“
Von Homer und Hesiod sagte Herodot, sie hätten dem griechischen Volk ihr Götter
geschlecht gemacht.
Aber so lass doch bleiben, wird vielleicht der Eine oder der Andere uns Zu
rufen, die göttliche Komödie, dieses verschlossene Gedicht, erschliessen zu wollen,
man sagt uns ja, es sei unverständlich. Es sind berühmte Worte, die Dante vor
seine Hölle gesetzt hat „lasciate ogni speranza voi ch’entrate“ lasst alle Hoffnung fah
ren, die ihr hineintretet „und diese Worte sollten vielleicht auch Jedem zugerufen
werden, der es wagen wollte, seine Dichtung zu verstehn. Wenn Jemand ausriefe
„Unheiliger, rühre dies heilige Gedicht nicht an“ den Ruf würde ich nicht übel neh
men ; aber behaupten zu wollen, das Gedicht sei unverständlich, scheint mir gleich
einer Verhöhnung der Gottheit zu sein. Denn die Kunst ist einfach! Die Kunst ist
für Alle, und die Poesie ist der Künste am meisten vollendete und weil die am
meisten vollendete 'darum die einfachste und verständlichste. Das Werk eines wah
ren Dichters kann nicht anders als einfach und fasslich sein. Und so sage ich denn
grad heraus „ich kenne nichts in der Dichtkunst was in Plan Composition der That-
sachen und Hinstellung derselben vor die Augen, worin nach Aristoteles die Haupt
sache eines poetischen Werks besteht, einfacher ist und fasslicher wäre als die gött
liche Comödie, obschon es zugleich nichts Tieferes giebt in der Dichtkunst als sie
und man über 100 einzelne Stellen Abhandlungen schreiben kann. Es zerfällt be-