13
seinen Weinberg andern Arbeitern verdingen, welche die Frucht der Gerechtigkeit ver
kaufen werden zur Zeit der Erndte. Ihr Machthaber, bereitet eure Mienen zum Be-
kenntniss und Unterwürfigkeit und stimmt an den Psalter der Reue. Aber ihr, die
ihr als Unterdrückte jammert, erhebt euren Muth, denn nahe ist euch das Heil. Er
wacht alle und geht Eurem Könige entgegen ihr Bewohner Italiens.“
Diese Weissagung Dante’s hat unverlöschbar fortgebrannt und ist in den letz
ten Jahren bis nah an voll verwirklicht worden. Victor Emanuel verlegt die Resi
denz des italienischen Königreichs nach Florenz und die weltliche Herrschaft des
Papstes verliert immer mehr ihren Boden. Der Jubel in Italien in der letzten Woche
muss grenzenlos gewesen sein. Aber wie ein Höhenrauch an einem hellen schönen
Sommertag den Azur des Himmels und die Farbenpracht der Erde verdunkelt, unser
Gemiith unheimlich drückt und beklemmt, so lastet auf der deutschen Nation seit län
gerer Zeit ein Etwas, was sie selbst froh zu sein verhindert und was andere Völker
froh stimmt mitzuempfinden. Denn freuen sollte sich doch Alles, was lebt, über die
letzte Bewegung des italienischen Volkes. Sie giebt uns doch den Beweis, was aus
dauernder Wille, was Begeisterung für eine Idee vermögen. Dass Italien geographisch
eine Einheit bildet, wer wollte das leugnen, sprachlich desgleichen. Dass es eine poli
tische Einheit zu bilden sich anstrengt, wen könnte das mehr freuen als uns Deutsche!
Denn man sieht, Alles kommt, wenn die Zeit erfüllet ist. Man sieht, es geht langsam
in der Weltgeschichte. Auch durch die germanische Nation zieht wie ein galvanischer
Strom die Prophetie der Einheit. Deutschland mag noch lange nicht reif sein für seine
Einheit, aber sie wird sicherlich kommen, wenn die Zeit erfüllet ist. Italien wollen
wir es aber von Herzen gönnen, dass es sich an den Worten Dante’s erbaut: „jetzt
freue dich“ und dass es testhält an der Weissagung seines grossen Dichters. Dass
die weltliche Macht des Papstes gebrochen und aufhören wird, ist doch wohl nicht
nur von italienischer, sondern von europäischer Bedeutung.
Das Zweite, was Dante so gross macht, ist seine Schöpfung der modernen
italienischen Sprache, der sog. lingua volgare. Der Lebensbeschreiber Dante’s, Balbo,
sagt in dieser Beziehung: „Nach meinem Dafürhalten hat Dante zuerst unter den Ita
lienern die lingua volgare zu dem Range erhoben, welchen Homer unter den Grie
chen und Virgil unter den Römern ihrer Muttersprache gegeben haben.“
Ja freilich hat er das! Dante steht an der Grenze zweier Welten. Ganz Sohn
des Mittelalters begründet er als Mann eine neue Periode Er begann seine göttliche
Comödie zuerst lateinisch. Wie ein unbegreifliches Wunder steht Dante in seiner
SprachschÖpfung da. In seiner Jugend herrschte die provenpalische und limousinsche
Sprache und Poesie überall. Die italienische Zunge lallte in Mundarten, über denen
für den Ausdruck alles Höheren die lateinische Sprache schwebte. Da vereinigten sich
in Dante sein Genie und sein Patriotismus zu Einer Flamme. Er liebte sein Italien,
das in so viele Gebiete zerfallene Land, in welchem man 14 Dialecte sprach und keine