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(Dass diese vita nuova mit der göttlichen Comödie genau zusammenhängt, hat beson
ders der ehrwürdige Schlosser gezeigt); jetzt entstand auch die göttliche Comödie.
Mit donnernder Stimme begann Dante sein Strafgericht über das Laster und
die Lasterhaften seiner Zeit. Heinrich VII. kam nach Italien, aber der Traum Dante’s
ging nicht in Erfüllung. Heinrich starb, ohne Florenz einzunehmen und Dante sah
sieh genöthigt, auf’s Neue zu seinem herumirrenden Leben und zu seinem heiligen
Gedichte, „der einzigen Freude und dem einzigen Trost in so vielem Unglück,“ zurück
zukehren. Er war in Verona im Hause della Scala, von dessen Haupt, Can Grande,
Dante rühmt, dass er nicht nach Land und Metall, sondern nach Weisheit, Liebe und
Tugend gedürstet habe; in Padua beim Hause Papafavi, in Gubbio bei der Familie
Bosoni, in der Lunigianer Mark beim Hause Malaspini, im Casentinischen bei den
Salvatici, in den urbinatischen Bergen bei der Familie Faggiula. — In seinem Ge
dicht gedenkt er der meisten. Im Jahre 1320, ein Jahr vor seinem Tode, kam er
heimathslos und in bitterster Armuth nach Ravenna. Damals, so erzählt Boeaccio,
war Herr über Ravenna ein edler Ritter, Guido Novella da Polenta. Dieser war in
den liberalen Wissenschaften wohl unterrichtet, ehrte die tüchtigen Männer hoch und
vor Allen diejenigen, welche durch Kenntnisse Andere überragten. Als er hörte,
dass Dante ohne Aussicht in der Romagna sich befinde, so entschloss er sich, ihn in
diesem verzweifelten Zustande aufzunehmen, ohne von ihm darum angegangen zu
sein. Guido da Polenta war Neffe der Francesca da Polenta, welche mit Malatesta,
dem Podestä von Rimini vermählt, durch Dante selbst aber als Francesca da Rimini
unsterblich geworden ist. Guido da Polenta nahm keinen Anstoss an den Versen
Dante’s, der den Schatten seiner unglücklichen Muhme unter den zur ewigen Qual
verdammten Seelen aufgeführt, aber ihr tragisches Schicksal durch den Hauch seiner
Poesie zu einem Gegenstand der Rührung für alle Zeiten gemacht hatte. Wir be
sitzen das Bild dieser Scene in unserer Kunsthalle. Ich habe damals die darauf
bezüglichen Verse Dante’s aus dem fünften Buch seines Inferno zur Erklärung des
Bild es abdrucken lassen und mich dünkt, Jeder muss den Zauber dieser Verse
empfinden.
Die Kämpfe in der leidenschaftlichen Seele Dante’s, welche sein Gedicht durch
strömen, waren geschlichtet, als er in Ravenna seine Tage beschloss. Er widmete
sie hohen religiösen Betrachtungen; er dichtete hier Busspsalmen und sein Credo.
Er schien ein Büsser geworden zu sein, wie jener Otto III., welcher, nachdem seine
Herrschaft über Rom in Irümmer gegangen Avar, sich in die Kutte hüllte und in der
Zelle zu St. Appollinaris zu Ravenna sich kasteiete.
Als er nun zum Sterben sich legte, am 14. September 1321, wollte er in der
Kutte der Franziscaner begraben sein. Guido da Polenta bestattete den todten Dichter
in einem Marmorsarkophag bei den Minoriten. Er beschloss, ihm ein prächtiges
Denkmal zu setzen, aber diess unterblieb wegen der Unruhen, denen das Haus
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