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darin besteht, Alles in dem lempel der Mnemosyne aufzubewahren, diess ist die
Fundamentallehre der Philosophie, ohne die sie zusammenstürzte.
Endlich die Erfahrung, diese letzte Zufluchtsstätte der Menschen, vor der auch
diejenigen, welche keinen Glauben an Religion und Philosophie haben, sich beugen,
spricht zu dieser Lehre ihr kräftiges Jawort.
Unser 19. Jahrhundert, das man mit Recht das des geschichtlichen Bewusst
seins nennen darf, ist deshalb so grossartig, weil es wie keins vorher in die gesammte
Vergangenheit des Menschengeschlechts sich vertiefte. Alles durchforscht es, was
von Anfang der Weltgeschichte an geschehen ist, die bis dahin verborgensten Schätze
deckt es auf, die bis dahin scheinbar verloren gegangenen feinsten Fäden spinnt es
wieder an, auf alle Wurzeln der Ereignisse geht es zurück, wissend und erkennend,
dass nur Sicherheit denkbar ist durch die Einsicht in die Genesis des Gewordenseins,
fühlend und merkend, dass die geistige Kraft nur sich erhält und wächst durch solche
Verschmelzung mit der Vergangenheit.
Der Mann, dessen 600jährigen Geburtstag wir heute feiern, zeigt uns auf
das Deutlichste die Wahrheit dieser Lehre. Sein Werden, seine Leistung und deren
Frucht sind von ihr der treueste Spiegel.
Sei es mir gestattet, hochgeehrte Versammlung, Ihnen zunächst das Bild dieses
wunderbaren Mannes kurz in seinen äusseren Lebensverhältnissen vorzuführen. Dank
den sorgfältigen Forschungen von Verehrern Dante’s liegen diese jetzt im Grossen und
Ganzen klar vor. Lassen Sie uns aber versuchen, selbige in der Art und der Absicht
an uns vorübergehen zu lassen, dass wir damit zugleich die Haltpunkte gewinnen
für die Beurtheilung der Grösse Dante’s, dass damit so zu sagen mit einer Art Noth-
wendigkeit unsere schliessliche Betrachtung über die welthistorische Bedeutung Dante’s
hervorgehe.
Durante, mit einem Scherznamen und einer im gemeinen Leben üblichen Ver
kürzung Dante genannt, Durante, der Dauernde, (dessen Name und Glanz dauern
werden, so lange die Menschheit vor der Grösse des Genies und der Erhabenheit
des Characters sich zu beugen nicht wird unterlassen können), ward in Florenz im
Mai 1265 geboren. Der Tag selbst ist nicht genau bestimmt, obwohl meistens der
27. genannt wird. Er stammte aus dem adligen Geschlecht der Aldighieri, gewöhn
lich auch verkürzt in Alighieri. Sein Ururgrossvater war der Ritter Cacciaguida, der
mit Kaiser Konrad zum heiligen Grabe zog und im Kampfe mit den Ungläubigen
umkam. Dante verlor seinen Vater früh, noch als Knabe; seine Mutter Bella aber
erzog ihn mit grösster Sorgfalt und Hess ihn früh in den Wissenschaften und Künsten
unterrichten. Der damals als Dichter und Philosoph berühmte Brunetto Latini wurde
sein Lehrer, dem Dante im Inferno XV 82 das schöne Denkmal setzte.
Che in la mente m’e fitta, ed or m’accuora
La cara buona imagine paterna