Full text: (Band XII.)

9 
der göttlichen Weltordnung, und dem Leben, worüber sie herrschen und wodurch sie 
erfüllt werden soll. Die göttliche Weltordnung ist nach dieser Auffassung ohnmächtig 
das persönliche Leben zu durchdringen, und die vollendete Persönlichkeit kraftlos 
ein Gemeinethos, ein sittliches Reich zu gründen. Dieser Zerfall des subjectiven und 
objectiven Ethos soll durch die Lostrennung des Menschen von Gott, durch den Sünden 
fall bewirkt sein. Zur Ergänzung des Defectes der sittlichen Welt dienen Recht und 
Staat, welche die göttliche Weltordnung aufrecht erhalten, aber doch auch nicht po 
sitiv zu erfüllen vermögen, sie verhindern nur, dass sie sich nicht in ihr Gegentheil 
verkehrt. ‘) Staat und Recht erscheinen hiernach nur als Nothbehelfe der sittlichen 
Welt, um ihren Defect einigermaassen zu ersetzen. 
Diese Erneuerungen des antiken und des mittelalterlichen Standpunktes in der 
Politik durch Hegel und Stahl entsprechen aber ebenso wenig dem politischen Be 
wusstsein der modernen Völker, welches einen grösseren Raum der persönlichen Frei 
heit fordert als jene Staatsbegriffe zulassen , als den Forderungen der Wissenschaft, 
welche die sich stets erneuernde T hats ache des Sündenfalls wohl als eine Thatsache 
erkennen, sie aber nicht als einen allgemeinen Begriff für wissenschaftliche Construc- 
tionen verwenden darf, da ohne Zweifel durch einen solchen Missbrauch nur ein 
Zerrbild entsteht. Denn diese seit Schelling übliche Manier die Thatsache des 
Sündenfalls als einen allgemeinen und nothwendigen Begriff zu behandeln, verdirbt 
alle wissenschaftliche Erkenntniss, welche nicht auf der Confündirung von Thatsachen 
und Begriffen, sondern auf ihrer Unterscheidung ruht. 
Neben diesen beiden Richtungen, welche den antiken und den mittelalterlichen 
Standpunkt innerhalb der Entwicklung der deutschen Philosophie für die Auffassung 
des politischen Lebens der Völker erneuern^ geht eine dritte Richtung, welche ebenso 
sehr die Forderungen des politischen Bewusstseins der modernen Völker als die For 
derungen der Wissenschaften zur Anerkennung zu bringen bestrebt ist, und die in 
den Schriften der oben genannten Männer ihren Ausdruck findet. In allen drei 
Richtungen herrscht aber doch dasselbe Streben die Politik als eine ethische Wissen 
schaft auszubilden wie dasselbe durch den Entwicklungsgang der deutschen Philosophie 
seit Kant und Fichte bedingt ist. 
II. 
Volk und Staat. 
Die Voraussetzung und die natürliche Grundlage des Staats ist das Volk. 
Staat und Volk gehören zusammen. Der Staat ist im Volke schon von Natur vor- 
') Stahl a. a, O. B. 2. Abthl. 1. S. 191, u. f.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.