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das Wesen der Freiheit liegt nicht in der Willkür des Abfalles von Gesetzen, sondern
m der Art der Gesetzgebung und der Gesetzvollziehung. Dem nothwendig Geschehen
den wird sein Gesetz gegeben, welches sich stets in gleicher Weise vollzieht, das frei
Geschehende aber giebt sich selber das Gesetz, welches individuell verwirklicht wird.
Freiheit ist Selbstgesetzgebung und individuelle Gesetzvollziehung. Da das politische
Leben der Völker auf der Freiheit sich gründet, so wird die Politik auch mit Recht
als eine ethische Wissenschaft angesehen, denn die Erklärung des Geschehens aus
Freiheit oder, was dasselbe ist, da Wollen und Zwecksetzen einerlei ist, aus End
zwecken ist die ethische, während die Erklärung des Geschehens aus Kräften, welche
nach allgemeinen Gesetzen nothwendig wirken, eine physische ist.
Schon Platon und Aristoteles haben die Politik als eine ethische Wissen
schaft behandelt, welche den Endzweck des Lebens, die Mittel und die Bedinmmo-en
seiner Verwircklichung erkennt. Sie sahen die Politik als die wahre Ethik an, da der
sittliche Endzweck nur im Staate zur vollen Darstellung kommt, der nothwendig ist
zur Erzeugung und zur Vollendung des sittlichen Lebens der einzelnen Personen,
welche in ihrer Isolirung den sittlichen Endzweck nur bruchstückweise verwirklichen
können. Der Staat soll das sittliche Leben, dessen Princip die Gerechtigkeit ist, nach
allen seinen Richtungen in der Gemeinschaft des Volkes darstellen.
Auch in der mittelalterlichen Philosophie sieht man die Politik als eine ethische
Wissenschaft an. Im Mittelalter ist aber die Ethik keine einheitliche, sondern eine
zwiespältige Wissenschaft, da man ein doppeltes Ethos, eins für das weltliche Leben
irn Staate und ein anderes für das religiöse Leben in der Kirche annahm. Die
Griechen kennen nur ein und dasselbe Ethos, aber zwei Subjecte, woran die ethischen
Forderungen gerichtet sind, das Leben der einzelnen Personen und das Gemeinschafts
leben des Staates. Die Griechen aber kennen nichts Höheres als den Staat und die
Darstellung der Gerechtigkeit im Staate. In der christlichen Zeit anerkennt man da
neben als die höhere sittliche Gemeinschaft die Kirche, welche mit dem Inbegriffe
der Tugenden des religiösen Lebens, von Glaube Liebe Hoffnung zur Ergänzung
dient zu dem bloss weltlichen Leben im Staate und der Gerechtigkeit, welche in ihm
sich darstellen soll. Der Staat gilt ohne die Kirche für untauglich den sittlichen
Endzweck in der Gemeinschaft der Menschen sichtbar zu machen. Dadurch wird zu
gleich das Gebiet des Staates eingeschränkt auf das Leben in den weltlichen Ge
schäften, welches kein Zweck an sich, höchstens als Mittel und Vorbereitung mit
für das höhere Leben, welches von der Kirche geleitet, die Seele ihrer Bestimmung
entgegenführt. Das gesammte sittliche Leben wird in diesem Gegensatz von Staat
und Kirche, der bürgerlichen und der kirchlichen Moral aufgefasst und gespaltet, von
denen indes? keine das ganze Leben zu durchdringen vermag, das bürgerliche Ethos
nicht, weil es sich auf das Absolute nicht bezieht, aber auch das religiöse Ethos
nicht, weil es nur das schadhafte weltliche Leben ausbessert und ergänzt. In der