Full text: (Band XII.)

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der Menschheit der Fall gewesen sei, in der Wirklichkeit aber waren diese allgemeinen 
Naturgesetze nicht nachweisbar und sah man sich daher genöthigt das geschichtliche 
Leben der Völker als aus der Willkür der Menschen entstehend anzunehmen. Der Will 
kür als einem Erklärungsgrunde wollte man entgehen, indem man sich bemühte Alles 
auf die Natur zurückzuführen und als ein nach allgemeinen Gesetzen nothwendig Ge 
schehendes zu begreifen, verfiel aber um so vielmehr in die Erklärungsart aus der 
Willkür, als das geschichtliche Leben der Völker in Rechts- und Staatsbilduim aus 
blossen Naturgesetzen sich nicht erklären lässt und man doch keine andere Gesetze 
glaubte annehmen zu können. Die antimoralische Richtung des Naturalismus bewirkte 
es, dass er in der That Alles aus der Willkür der Menschen hervorgehen lässt, ob 
gleich sein Streben dahin geht, Alles als ein nothwendig Geschehendes, als Natur- 
erzeugniss zu begreifen. 
Es geschieht aber in der Welt nicht Alles nach allgemeinen Gesetzen noth 
wendig, sondern Einiges geht, wenn auch nicht aus der Willkür, so doch aus der 
Freiheit hervor, welche nach Endzwecken handelt und nach Gesetzen thätig ist, die, 
individuelles und persönliches Leben in sich umfassend, nirgends in einerlei Weise, 
sondern in manigfaltigen Modifikationen verwirklicht werden. Dies Leben gehört aber 
nicht der Natur, sondern der Geschichte und der sittlichen Welt an. Es kann daher 
auch nicht wie ein Naturphänomen aus den ersten Keimen des Daseins, dem imam- 
nirten Naturzustände der Menschheit, und äusseren Ursachen, die nach allgemeinen Ge 
setzen stets dieselbe Wirklichkeit erzeugen, begriffen werden, sondern wird nur erkannt 
aus Endzwecken des Geschehens und aus Willenskräften, welche nach Gesetzen 
thätig sind, die in verschiedener Weise sich vollziehen. Das Suchen nach allgemeinen 
Naturgesetzen für das Leben der Völker in ihren Staatsbildungen wie in den übrigen 
Erzeugnissen derselben, ist der Irrweg des Naturalismus, da die Gesetze für dieses 
Leben keine physische, sondern ethische sind. Die Völker zeigen in ihren Staats 
bildungen überall ihre Individualität, ja wenn man will, ihre Persönlichkeit. Das 
politische Leben der Völker stimmt wohl in allgemeinen Zügen der Formen und 
Einrichtungen des Staates mit einander überein, in der That aber ist es ein individuell 
verschiedenes. Wenn es dafür ein allgemeines Gesetz geben soll, so kann es nur ein 
solches sein, welches individuelle und persönliche Verwirklichung einschliesst. Gesetze 
aber, welche in abweichenden Modifikationen sich vollziehen, sind keine physische, 
sondern ethische. Solche Gesetze setzen Freiheit voraus, die ihr Ziel nicht bloss ver 
fehlen, sondern auch verschiedenartig treffen kann. Die Freiheit ist der Grund indi 
vidueller Gesetzesvollziehung. Was der Naturalismus als Willkür erklärt, weil er nur 
nach allgemeinen Gesetzen nothwendig Geschehendes kennt, besteht nur in der durch 
die Freiheit selbst begründeten individuellen Vollziehung ihrer Gesetze. Da das ge 
schichtliche Leben der Völker in allen seinen Formen Individualität und Persönlich 
keit zeigt, wird dadurch auch bewiesen, dass demselben Freiheit zu Grunde liegt, denn
	        
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