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unserm Briefe einmal an ägyptische Leser gedacht wird, so muss auch an den
Cultus des ägyptischen Tempels gedacht werden. Wie konnte den ägyptischen
Christen von dem Cultus des fernen Tempels in Jerusalem her die Versuchung
eines Abfalls zum Judaismus und Judenthume kommen, wenn sogar der fromme
Jude Philo jenen Tempel wahrscheinlich nur einmal, um dort anzubeten, be
sucht hat!
Wir haben bis jetzt gesehen, dass die Einwendungen gegen unsere Annahme,
dass Hebr. 9, 1 if. der Tempel der ägyptischen Juden zu verstehen sei, nichts
weniger als stichhaltig sind. Hören wir nun die Gründe, welche für den Tempel
in Leontopolis sprechen. 1) Abgesehen davon, dass auch andere Gründe für ägyp
tische Leser entscheiden und unter der Voraussetzung von ägytischen Lesern nur
an den ägyptischen Tempel gedacht werden kann, so muss nach S. 35 ff. Hebr. 9, 1 ff
ein damals bestehendes jüdisches Heiligthum, also entweder der Tempel in
Jerusalem oder der in Leontopolis verstanden werden. Da nun der Tempel in
Jerusalem nach der Beschreibung (vgl. S. 33 ff.) schwerlich gemeint sein kann, so
bleibt Nichts übrig als an den Tempel in Leontopolis zu denken. — 2) Das, was wir
über den Tempel von Leontopolis und seinen Cultus anderweitig wissen oder er-
schliessen können, unterstützt unsere Annahme oder ist ihr wenigstens nicht ent
gegen. Denn a) der Tempel in Leontopolis war nach der Beschreibung des Josephus
theils dem von Serubabel erbauten Tempel in Jerusalem gleich (o/xoicz, x«3-’ o/xoiaaiv,
und 7Tct^oiTTXriaios) Ant. 12, 9. 7. 13, 3. 1. Ant. 20, 10., theils aber auch nicht
gleich (ovx opoios) bell. Jud. 7, 10. 3., d. h. im Wesentlichen war er ihm gleich,
sofern beide Heiligthümer namentlich im Allgemeinen nach den alttestamentliehen
Gesetzesbestimmungen aufgeführt waren, in manchen Einzelnheiten dagegen war er ihm
wieder unähnlich. Die Wahrheit dieser Behauptung wird übrigens auch durch Stellen
des Talmud bestätigt, aus welchen zugleich der Grund dieser Erscheinung klar wird.
So heisst es namentlich Gemara Rosch Haschana fol. 25 und Geinara Avoda Zara
fol. 43. 1: Ne exstruat quisquam domum ad similitudinem aedis sacrae aut exedram
instar pronai aut aream instar atrii sacri aut mensam instar mensae aut lychnuchum
instar lychnuchi sacri. Sed licebit lychnuchum facere quinque, sex vel octo ramorum,
non vero ramorum septem, etiamsi non ex auro, sed ex aliis metallis constet.
R. Jose, filii Jehudae, sententia est, etiamsi ex ligno lychnuchum faciat, non licere,
quod talem Chasmonaei fecerint. Der Sinn dieses Gebots ist unstreitig, dass das
jerusalemische Heiligthum in seiner Erhabenheit ein unicum 1 ) bleiben sollte, in
höchstem Grade freilich gegQnüber allen bloss irdischen Zwecken dienenden Baulich
keiten und Geräthen, in niedrigerm Grade aber auch gegenüber andern gottesdienst- '
liehen Gebäuden wie den Synagogen und dem ägyptischen Tempel. Die Hauptstelle
l ) Vgl. Reland, de spoliis templi Hierosolym. p. 15. und dessen Anmerkungen zu Joseph,
bell. jud. 7, 10. 3. (ed. Haverkamp), ferner Cassel, a. a. O. S. 34.
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