Full text: (Band IV.)

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der Wahrheit zugewandten Forschen ist schon manche schöne Frucht entsprungen, 
die auf die Gestaltung auch der äusseren Lebensverhältnisse einen wichtigen Einfluss 
geübt hat. Auch kann es keinem Lande gleichgültig sein, ob es in seiner Mitte eine 
Stätte hat in der alle die Fragen eifrig erwogen werden, in welcher das praktische 
Leben sich mit der W lssenschaft berührt. Aber höher freilich müssen wir eine andere 
Seite anschlagen. Das Forschen nach Wahrheit hat eine sittlichende Kraft und darum 
wird die höchste Bedeutung der Universitäten eine moralische sein. Alles ernste 
Streben, alle Arbeit sittlicht, kräftigt den Charakter und bewahrt vor Weichlichkeit und 
Entnervung, gewiss aber nicht am wenigsten jene harte, strenge, den innersten Men 
schen ergreifende Geistesarbeit, welche wir von dem Forscher fordern, für welche die 
akademische Jugend mit Achtung und Liebe erfüllt werden soll. Ein alter Dichter 
sagt, die Götter hätten den Schweiss vor die Tugend gesetzt; man kann mit gleichem 
Rechte sagen, dass auch das Wissen Schweiss fordere. Und damit ist nicht etwa 
bloss die Mühe gemeint die mit der Aneignung vielseitiger Kenntnisse verbunden ist, 
freilich auch schon eine gute Uebung in der Ausdauer, in der grossen Tugend der 
Beharrlichkeit, ohne die nichts im Leben der Menschen und Völker erreicht wird. 
Die Wissenschaft stellt an den Menschen noch andere Forderungen. Das Forschen 
fordert Entsagung und nicht etwa nur auf äussere Vortheile — die freilich auf andern 
Bahnen des Lebens dem Begabteren eher als auf denen der Wissenschaft zu Theil 
werden er fordert auch immer wieder und wieder Entsagung auf eigne Lieblings- 
meinungen, die der strengen Selbstprüfung, der unumgänglichen Pflicht des Forschens 
nicht Stand halten, Entsagung auf die Lust Neues vorzubringen, wenn das noch nicht 
so bewährt und erwiesen ist wie ■ es die Treue und Wahrhaftigkeit verlangt. Und 
wie oft geschieht es, dass, wenn endlich ein Ergebniss den Prüfstein der eigenen 
Gewissenhaftigkeit bestanden hat, das Wort des Dichters darauf Anwendung findet 
Wer kann was Kluges denken 
Das nicht die Vonveit schon gedacht? 
Noch manchen ernsten sittlichenden Kampf erfordert die Wissenschaft, darunter auch 
den inneren Kampf zwischen dem wissenschaftlichen Sinne und den andern Bedürf 
nissen des menschlichen Geistes und Herzens, die ebenso unabweisbar sind und nicht 
immer so leicht mit jenem zusammen klingen. In der That mag auf niederen Stufen 
die Arbeit drr Wissenschaft zum Hochmuth führen, gerade je Höheres erstrebt wird, 
desto mehr muss sie Demuth, muss sie die tiefe Ueberzeugung wecken, dass wie 
alles Wissen unvollkommen bleibt, so vollends der Einzelne nach Wissen Ringende 
nur ein kleiner Ring ist in der Kette des Geisteslebens der Völker, freilich eben 
darum bestimmt fest zu halten und an seinem Theile zum Ganzen beizutragen. 
Jede Zeit hat ihre besondere Physiognomie, ihre besondern Gebrechen und 
Vorzüge. Der hohe Beruf wissenschaftlicher Geistesarbeit muss es sein im Bunde 
mit allen edleren Richtungen sittlichend und heilend auf die Gebrechen, fördernd und 
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