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betrachtet, die Universitäten also für blosse Unterrichtsanstalten, oder etwa gar für
Yorbereitungsanstalten für gewisse Berufsarten gehalten werden. Freilich musste die
ganze Entwickelung des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens, musste die Con
centration der verschiedenen Bestrebungen und Thätigkeiten auf die Einheit des
Staatszweckes, wodurch sich die neuere Zeit von den vorangehenden Jahrhunderten
unterscheidet, das Band zwischen der Universität und den Zwecken der bürgerlichen
Ordnung fester knüpfen, und damit die eine Seite im Universitätswesen, der Unter
richt, mehr in den Vordergrund treten. Und wer wollte nicht eine hohe und grosse
Aufgabe der Universitäten darin erkennen, dass sie die reifere Jugend auf die
Berufsarten vorbereiten sollen, welche die entwickeltsten und geübtesten Geisteskräfte,
die stärksten und durchgebildetsten Charaktere fordern? Aber dennoch hiesse es die
Stellung dieser ehrwürdigen Stiftungen verkennen, wollten wir ihnen kein höheres
Ziel stecken, und wo, wie es in einzelnen Staaten geschehen ist, die Universitäten
von Staats wegen bloss mit Rücksicht auf diese nächsten, praktischen Zwecke ge
ordnet sind, wo man ihren Charakter als Körperschaften mit eigenthümlichem Leben
gänzlich verkannt hat, da ist in kurzer Zeit eine Verknöcherung der Wissenschaft
und ein trockner Schulpedantismus die Folge gewesen, in welchem die edleren Triebe
wissenschaftlichen Strebens alsbald erstickt und abgestorben sind. Wahrhafter Segen
entspringt nur bei freier Entfaltung der mannichfaltigsten wissenschaftlichen Bestre
bungen, bei denen die Frage nach dem unmittelbaren Nutzen, nach der augenblick
lichen Anwendung eine durchaus untergeordnete bleiben muss. Nichts gibt von der
geistigen Dürre, welche als eine hoffentlich vorübergehende Erscheinung uns in unsrer
Zeit auf eine oft erschreckende Weise entgegen tritt, einen traurigeren Beleg, als dass
sich unter der Jugend selbst deutscher Universitäten der Wahn ausbreitet, durch
blosses Abrichten, durch das Einüben gewisser Formeln, durch schülerhaftes Memoriren
an der Hand von Handlangern der Wissenschaft könne ein echtes akademisches
Studium ersetzt werden. Dass unsre deutschen Universitäten etwas anders sollen und
immer gewollt haben, tritt schon deutlich genug in ihrer Gliederung hervor. Denn
während die drei ersten Facultäten auf bestimmte Fächer hinweisen und damit ihre
gewiss nicht gering zu achtende Bestimmung andeuten, den künftigen Dienern der
Kirche und des Staates, den Hütern der körperlichen Wohlfahrt reichliche Mittel und
Anregung zur Ausbildung für ihren Beruf zu gewähren, enthält der blosse Name der
philosophischen Facultät in ihrer Verbindung mit den übrigen zu einer Universitas
litterarum die dringende Mahnung jene praktischen Zwecke mit allem übrigen mensch
lichen Forschen zu einem grossen Ganzen zu verbinden. Die philolophische Facultät
unsrer Hochschule trägt sehr bezeichnend auf ihrem Siegel die Devise commune
artium vinculum, gemeinsames Band der Wissenschaften. Ihr Gedeihen wird immer
ein Hauptkennzeichen für den wissenschaftlichen Geist einer Universität, der Besuch
der allgemein wissenschaftlichen Vorlesungen ein wichtiges Merkmal davon sein,