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Kunstkennern sich einen so grossen Ruhm erworben, welche in dem Lande der Künste
jedem nicht oberflächlich Gebildeten bekannt sind, muss man da nicht glauben, es
sei hier in unserem kleinen Ländchen mehr Kunstsinn, mehr Fähigkeit das Wesent
liche des Schönen aufzufassen, und mehr Liebe und Bereitschaft, sich für die Kunst
aufzuopfern, als — das Verhältnis berücksichtigt — in irgend einem andern Lande?
Freilich ist ein Kunstwerk beurtheilen, die Geschichte der Kunst, ihre allmälige
Entwickelung durchschauen nur die eine, schwächere Seite. Die Bedingung von
beiden ist das Kunstwerk selbst. Vielleicht mag ein \ olk reich sein an Geistern mit
Scharfblick und sichtendem Verstand, aber es ermangelt der schöpferischen Talente,
welche der Theorie den Stoff bieten. — Haben doch z. B. die Herzogtümer keinen
einzigen berühmten Componisten aufzuweisen, und gleichwohl ist, wie Ihnen allen
bekannt, der Verfasser eines der bedeutendsten Werke der Gegenwart über die innere
Entwickelung eines der grössten Meister der Töne ein Holsteiner. — Auch mag ein
Volk zu einer Richtung der Kunst befähigt sein, zu einer andern nicht. Wäre es
eine feststehende Wahrheit „Holsatia non cantat,“ so stammen doch aus unseren
Herzogtümern eine Reihe hervorragender Dichter, unter welchen neben anderen
lebenden einer, der vorzugsweise und vorn ersten Erscheinen an ein Liebling der
Deutschen Nation geworden, jetzt unter uns weilt.
Wir fragen also mit Recht, in welchem Verhältniss steht denn nun bei uns
die schaffende Kunst zu der Kunstwissenschaft, die wir durch so bedeutende einhei
mische Kräfte vertreten sehen. Unsere Kirchen, die Gemälde in denselben, die
Schnitzwerke in Holz belehren uns, dass es früher eine Periode gegeben, in welcher
die Kunstthätigkeit in den Herzogtümern blühte. Der Kunstverein hofft, allmälig
die Kunstgeschichte jener früheren Periode durch Mitteilungen besonders Seitens der
Herren Prediger aufzuklären. Von unserer Gegenwart aber ist jene frühere Kunst
epoche durch eine lange Zeit der Verflachung und der Leere gänzlich abgeschnitten.
Die Frage tritt völlig neu an uns heran. Die Antwort auf diese Frage werden Sie
Sich sogleich selber geben. — Giebt es ein Verdienst, worauf das Directorium glaubt
stolz sein zu dürfen, so ist es dieses, dass es, Ihnen und uns allen unerwartet, eine
reiche Sammlung von Gemälden einheimischer Künstler Ihnen vor Augen stellt, Ge
mälde zum Theil von hohem und anerkanntem Werth, alle aber würdig, in dieser
schönen Vereinigung, an diesem schönen Tage, von diesem Verein der Kunstfreunde,
die zugleich die Freunde, Verwandte, Landsleute der Künstler sind, mit Ernst und
mit einem freudigen Blick auf die Gegenwart und in die Zukunft betrachtet zn werden.
Es soll nicht von Einzelnen geredet werden. Ein Freund meinte, allein über
As in us Jacob Carstens lasse sich nur viele Stunden reden, oder gar nicht. Das ist
wohl richtig heute. Im Anfang des Jahrhunderts konnte noch kurz über ihn geredet
werden, es sei denn, dass einer ihn so kannte, und so in die Zukunft sehen konnte,
wie sein Freund und Biograph Fernow. Aber selbst nach dem Jahre 1806, wie viele
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