Theodor Claufsen
99
den Germanen drangen, labiale Spirans (vgl. M.-L., Gr. I § 402 S. 316),
also gewiss auch noch zu Lebzeiten des Vegetius (Ende des 4. Jahrh.),
der uns levisticum überliefert hat. Trotzdem könnte man fragen, warum
nicht entsprechend xv — qui etwa *leguisticum geschrieben sei. Ver
mutlich ist dies darin begründet, dass die Lautgruppe gu im Lateini
schen nur nach n vorkommt (sanguis, lingua u. s. w.). Da nun ferner
das Lehnwort dyxolvr\ zu anquina latinisiert worden ist (Brgm. Grdr. I,
S. 227), also die Gruppe xoi den Römern annähernd wie xv klang, da
gr. oi und v später zuweilen verwechselt werden, woraus ihre un
gefähre lautliche Identität folgt (§ 17,5), und da Brgm. Gr. Gr. § 18
und § 27 für das gr. oi aus sprachgeschichtlichen Erwägungen eine
ö-ähnliche Aussprache feststellen zu müssen geglaubt hat, so wird man
schliessen dürfen, dass das gr. v ein dem lat. in ungefähr entsprechender
Laut gewesen sei, der aber mehr zum ö hinüberneigte, als zum U.
Mit dem Resultat dieser Überlegung scheinen nun verschiedene Tat
sachen recht wohl im Einklänge zu stehen: Zunächst, dass das gr. v
gelegentlich durch lat. oe wiedergegeben wird, z. B. in goerus = yvgog,
Moesia = Mvtrla, poetina = nvztvrj (Schuch. Vok. II, 278), coloephia
= xoolvipia (Georges, LWF. s. v. colyphia), lagoena = Idyvvog, be
achte auch die Glosse .caroeophilum, sic scribimus quod vulgus cario-
phalum dicunU (CGL V, 10,17; V, 52,17) = xaQvöipvXXov. Vgl. die
bei Stolz-Schmalz § 4,1 angegebene Literatur. Denkt man sich ferner
die Entwicklung des dem gr. v entsprechenden lat. oe wie die des
einheimischen lat. oe, also Übergang zu e bezw. e (vgl. foenum > vlt.
fenum = frz. foin, span, heno, bezw. vlt. fenum = ital. fieno), so er
klärt sich auch, warum das gr. v schon früh als lat. i erscheint, denn
die Römer konnten in derselben Weise, wie sie den geschlossenen
e-Laut des gr. e z. B. in nensgi = piper, eyyv&rixri = incitega, xtÖQog
= citrus durch i bezeichneten, auch ein aus oe = gr. v reduziertes e
durch i wiedergeben. Dieser Art sind die unter 6 angeführten Bei
spiele wie TivQQog = birrus u. s. w., dahin gehören auch fivxrjg vlt.
*mecca (§ 7,1) = prov. mecca, frz. möche, ne. match, ygvMog, davon
afr. greillon, xvxvog = ital. cecero, altital. c6cino (§ 5,4), hßvxog, davon
ital. libeccio, [ivgrog = prov. nerto, nagiovvyla — ital. patereccio,
TtQsirßvTSQog (§ 4,5) = afr. preveirre, prevoirre etc., Akk. crvgiyya =
span, jeringa, ptg. seringa (frz. seringue, Lehnwort) u. s. w. Seltener
(wie auch das einheimische oe) hat sich oe = gr. v zu lat. e ent
wickelt, z. B. yvxpog = ital. gesso (ausserhalb der Toscana gesso).
Aber nicht alle Fälle, in denen griechischem v vlt. e entspricht, sind
wie die eben genannten zu beurteilen. Bekanntlich war im Hochlatein
die Aussprache des v wie i nicht ungewöhnlich (vgl. namentlich Seel
mann S. 219, ferner Lindsay II § 28). Unter Umständen können auch
Wörter mit einem solchen schriftlat. i in die Volkssprache Ubergetreten
7*