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Die griechischen Wörter im Französischen
gehabt hätten. Man geht hierbei eben irrtümlich von der ionisch
attischen Aussprache des v aus. Und wenn die Römer noch in späterer
Zeit, als sie längst diesen abweichenden Lautwert kennen gelernt
hatten, das u für v beibehielten, so geschah es, weil die Wörter nun
einmal in dieser ehemals und vielleicht schon vor Jahrhunderten ent
lehnten Form Bürgerrecht erworben hatten und zu einem nicht geringen
Teile auch garnicht mehr als Fremdlinge betrachtet wurden.
3. Zu beachten ist noch folgendes: Das gr. v muss eine offene
Länge gewesen sein, wie daraus hervorgebt, dass es zuweilen dem
lat. u gleichgestellt worden ist. Beispiele: tovTÜvri lat. trütina = afr.
trone, ne. tron 1 ); trutina ist, wie die Behandlung des Pänultimavokals
zeigt (S. 35), ein altes Lehnwort; sicher stammt es aus der Zeit, als
die Römer auf die Quantität zu achten noch nicht gelernt hatten;
später erschloss man aus dem Klang u analogisch die Dauer des Vokals
und mass trutina; hätte man das Wort als griechische Entlehnung er
kannt, woran aber offenbar die veränderte Lautgestalt gehindert hat,
so würde man ohne Zweifel das u lang gemessen haben, wie dies bei
schriftlat. müröna = pi gcuva der Fall ist. Daneben bestand hier vlt.
*murena (S. 50) - = afr. moreine, ital. span, morena, ptg. moreia, das
den griechischen Vokal nach seinem Klange reproduziert, während span,
rnurena, frz. murene auf die schriftlateinische die griechische Quantität
bewahrende Form zurückgehen. Vgl. ferner span, estovar, frz. etouffer
[= *extübare (§ 1,7), *extüffare von tv(pog\ neben ital. stufare, span,
estufar, frz. etuver, sowie me. molet (neben mulet, ne. mullet), das ein
afr. *mol(l)et voraussetzt (beachte auch die Glosse CGL II, 587, 50
,mullus : genus piscis quasi mollas, cuius cibo libido incitatur'), daneben
ital. mullo, frz. mulle, mullet vom schriftlat. müllus, gr. fxvUog. Über
ywQVTÖg vgl. S. 41. Auch die Latinisierung von ciyxvQu zu ancöra
(S. 50) wird in diesem Zusammenhänge leichter begreiflich scheinen.
4. Im allgemeinen war das dem gr. v entsprechende lat. u offen.
Doch kommt auch nicht selten an dessen Stelle lat. ü vor, und zwar
häufiger als M.-L. Gr. I § 17 S. 30 anzunehmen scheint. Beispiele:
nv^og vlt. *büxa (§ 3,2; Auslaut -a, weil nv^og Femininum ist, vgl.
S. 28) = afr. buisse; vlt. *büsca (§ 6) — ital. (dial.) busca (dazu das
Demin. b(r)uschetta, bruscolo), afr. busche, nfr. büche, cat. b(r)usca;
vlt. *büxione oder *büscione = ital. buscione, frz. buisson; vlt. *büscare,
*büxare = ital. buscare, span. ptg. buscar, afr. embuschier, embussier
etc. (die ganze Wortsippe wird s. v. nv^og einer eingehenderen Be
sprechung bedürfen); Gen. nv^ldog, *nv%llog (§ 2,5) = ital. bussilo;
1) Ital. trutina bezeugt nicht etwa ein lat. *trütinä, denn das Wort ist un
volkstümlich, wie ein Vergleich mit ital. Modena (früher auch Modana, Modona)
= lat. Mutina lehrt.