26
Die griechischen Wörter im Französischen
sehe Akzentuierung ist bewahrt geblieben, wenn nicht gar die griechi
sche Wortgestalt vom Romanischen getreuer wiedergespiegelt wird als
vom Schriftlatein. Allen diesen Erscheinungen werden wir weiter unten
noch vielfach begegnen. Und selbst wo sich derartiges nicht feststellen
lässt, wie z. B. bei lat. petra (nerga) ,Stein‘ ist die Tatsache, dass das
römische Volk für diesen allergewöhnliehsten Begriff kein einheimisches,
sondern ein aus dem Griechischen entlehntes Wort verwendet, bemerkens
wert genug, allgemeiner ausgedrUckt, die Beobachtung, welche Be
standteile des vulgärlateinischen Wortschatzes griechischer Herkunft
sind, wirft interessante Streiflichter auf kulturgeschichtliche und sprach-
geschichtliche Verhältnisse 1 ); Grund genug, die griechisch-lateinischen
Wörter des Romanischen nicht mit den einheimisch-lateinischen zu
sammenzuwerfen.
I. Kapitel.
Allgemeine Bemerkungen zur Latinisierung griechischer Wörter.
Die griechischen Lehnwörter boten den Römern manche Schwierig
keiten. Nicht nur hatte das Latein für eine ganze Anzahl von griechi
schen Lauten keine genaue Entsprechung, nicht nur waren gewisse
Lautfolgen und -Verbindungen dem Latein ungewohnt, nicht nur
waren gewisse Laute an bestimmten Stellen (z. B. a als Mittelvokal in
Proparoxytonis, o als Kompositionsvokal in zusammengesetzten Wörtern
u. s. w.) unbequem, auch die Betonung, die Wortausgänge und anderes
mehr war ganz und gar unlateinisch, und die griechischen Wörter
mussten sich bei einer Verpflanzung auf lateinischen Boden erhebliche
Umgestaltungen gefallen lassen. Die in der lateinischen Schriftsprache
durch die Latinisierung hervorgerufenen Veränderungen griechischer
Lehnwörter sind der Hauptsache nach von Weise im ersten Teil seines
Buches, ferner von Gäbel-Weise und in den verschiedenen lateinischen
Grammatiken dargestellt worden. Das Volkslatein stimmt, wie vorweg
bemerkt werden mag, in seiner Art, die griechischen Wörter dem
heimischen Sprachgut zu assimilieren, durchweg mit dem Altlatein gegen
über dem vom Latein der klassischen Periode beliebten Verfahren zu
sammen. Dies ist die Quintessenz unserer ganzen Unter
suchung.
Ausserhalb aller Gesetzmässigkeit stehen die Umgestaltungen, die
lateinische Volksetymologie im Lautstande griechischer Lehnwörter
hervorruft, vgl. hierüber Weise S. 73, Stolz § 5 und vor allem Keller,
Lateinische Volksetymologie, passim 1 2 ). Die dadurch bedingten Ab
1) Diesem Punkte soll noch eine nähere Besprechung gewidmet werden.
2) Doch ist dies Buch nur mit grosser Vorsicht zu benutzen; wir werden
des öfteren Gelegenheit haben, das in den Rezensionen von Meyer-Lübke, Deutsche