Full text: Die griechischen Wörter im Französischen

Theodor Claufsen 
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konnten, teilgenommen, so darf geschlossen werden, dass das zugrunde 
liegende griechische Wort in den entsprechenden lateinischen Sprach 
gebieten im Munde des römischen Volkes üblich gewesen sei. Für 
die Entscheidung der Frage nun, ob ein Wort als Erbwort erhalten 
sei oder nicht, sind nicht alle romanischen Sprachen in gleicher Weise 
tauglich, am wenigsten das Italienische, nach Diez’ Ausdruck „die 
ähnlichste Tochter Latiums“, denn je näher die betreffende Sprache 
dem Latein steht, desto geringer ist der Unterschied zwischen Erb- und 
Buchwörtern; daher ist die Auskunft, die das Italienische gibt, wie 
schon M.-L, ital. Gr. § 12 hervorgehoben hat, vielfach nicht ge 
nügend. Weitaus am besten eignet sich dagegen das Französische, ist 
es doch die Sprache, die sich im allgemeinen am weitesten von der 
lateinischen Grundlage entfernt. Eine Reihe sprachlicher Entwicklungen, 
die das Französische wesentlich von anderen romanischen Sprachen 
scheidet, z. B. die Gestaltung der meisten freien haupttonigen Vokale, 
die Palatalisierung des anlautenden c und g vor a, die Vokalisierung 
des gedeckten 1, die Verstummung des gedeckten s, die Umformung 
gewisser Konsonantengruppen, der Abfall des wortauslautenden Vokals 
unter bestimmten Bedingungen, die häufig infolge lautregelrechter Be 
handlung eines Wortes eintretende starke Verkürzung, die es beispiels 
weise ermöglicht hat, dass die lateinischen Wörter Augustus und 
*habütum (= frz. aoüt und eu) in einen einzigen Laut (ü bezw. ü) 
zusammengeschmolzen sind, und anderes mehr gestattet uns mit grosser 
Sicherheit festzustellen, ob wir es mit einem Erbworte zu tun haben 
oder nicht. Selbstverständlich soll das Zeugnis der anderen romani 
schen Sprachen nicht verschmäht werden; im Gegenteil, dies tritt 
helfend und ergänzend hinzu, und in manchen Fällen sind wir sogar 
nur darauf angewiesen. Im wesentlichen aber ist, wie gesagt, das 
Französische ausreichend. Der Einblick, den wir auf diese Weise ins 
Vulgärlateinische gewinnen, beschränkt sich nicht nur darauf, dass 
wir angeben können, welche griechischen Wörter im Lateinischen volks 
tümlich gewesen sind, wir vermögen auch oftmals zu bestimmen, auf 
welchem Wege die griechischen Bestandteile ins Volkslatein einge 
drungen sind, ob durch Vermittlung der Schriftsprache, also durch 
literarische Überlieferung, oder durch mündliche Übertragung im 
Handel und Wandel zwischen Griechen und Römern 1 ). Ja, zuweilen 
lässt sich gar die Zeit ihrer Einwanderung, wenn auch nur sehr 
ungefähr, feststellen. 
Neben der bisher ausschliesslich besprochenen Gruppe von Wörtern, 
die aus dem Altgriechischen über das Latein ins Romanische gelangt 
sind, steht eine andere, aber wenig umfangreiche von solchen, die aus 
1) Die verschiedenen Kriterien für das eine oder das andere werden wir 
noch kennen lernen.
	        
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