Theodor Claufsen
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hoffen, dass dadurch unsere Kenntnis des Volkslateins in mancherlei
Hinsicht erweitert und bereichert werde.
Einige orientierende Bemerkungen über die historischen Grundlagen
der griechischen Elemente des Lateinischen und der romanischen
Sprachen und Uber den Gegenstand unserer Untersuchung im allgemeinen
werden zunächst am Platze sein: Wie das Latein dazu kam, griechische
Wörter aufzunehmen, erklärt sich aus geschichtlichen Verhältnissen,
aus der Bolle, welche Griechenland bezüglich der ^Entwicklung Roms
zugefallen war. Hier ist natürlich nicht der Ort zu zeigen, wie ausser
ordentlich vielseitig und tiefgehend die Einwirkung Griechenlands auf
Rom gewesen ist, wie die Römer auf allen möglichen Gebieten der
geistigen und materiellen Kultur von den Griechen abhängig waren,
sodass den Entwicklungsgang des römischen Volkes darlegen eigentlich
weiter nichts heisst, als auseinandersetzen, wie die Römer schon früh unter
griechischen Einfluss gerieten, wie sie sich dessen es zu erwehren suchten
und wie sie dabei mehr und mehr unterlagen. Alles das gehört in die Ge
schichte, bezw. Kultur-, Literatur- und Kunstgeschichte. Uns interessiert hier
nur die sprachliche Seite: Bei allen Völkern steht der Wortschatz der Sprache
in engstem Zusammenhang mit der kulturellen Entwicklung. Übernimmt
ein Volk eine Kulturerrungenschaft von einem anderen so wird gewöhn
lich mit der fremden Sache der fremde Name entlehnt. Nicht anders
erging es den Römern in ihrem Verhältnis zu den Griechen; auch in
dieser Beziehung gilt das Wort des Horaz (Epist. II, 1, 156): ,Graecia
capta ferum victorein cepit‘, doch muss dies dahin verstanden werden,
dass die Beeinflussung des lateinischen Sprachschatzes durch den griechi
schen schon sehr lange vor der Eroberung Griechenlands durch die Römer
begonnen hat Wie die lateinische Schriftsprache mit griechischen Wörtern
förmlich überschwemmt war, lehrt ein Blick in Weises Buch: Der Index
umfasst nach Zambaldis Zählung nicht weniger als 6950 Nummern. Da
runter sind mm allerdings manche Wörter, die lediglich der Bequem
lichkeit der Übersetzer ihr Dasein verdanken und viele andere, die
nur als Fremdwörter gebraucht worden sind (Weise hat diese Gruppe
durch kleinen Druck gekennzeichnet). Immerhin aber hat das Schrift
latein eine ganz ausserordentlich grosse Zahl griechischer Elemente
besessen.
Nicht annähernd soviele griechische Wörter als die Sprache der
Gebildeten barg die des Volkes, doch auch hier zählen sie noch nach
Hunderten. Der Handelsverkehr mit den Griechen, das Zusammenleben
mit griechisch redenden Sklaven, Handwerkern u. s. w., die fortwährende
Berührung mit den dem Hellenismus huldigenden oberen Ständen, denen
seit Ende der republikanischen Zeit das Griechische geradezu als Umgangs
sprache diente, schliesslich auch die Übertragung des Christentums,
das ja zunächst in den unteren Volksklassen Eingang fand, aus dem