Theodor Claufsen
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Schriftzeichen zu bedienen pflegten 1 ). P. entnahm daraus infolge eines
Missverständnisses, dass die Sprache der Gallier zur Zeit Cäsars sich
wesentlich aus griechischen Wörtern zusammengesetzt habe. Über
einstimmung griechischer und französischer Wörter in der Bedeutung
und Ähnlichkeit des ersten oder der mittleren Buchstaben fasste er
als Bestätigung seiner Hypothese auf: Frz. foire war ihm identisch
mit gr. (poQiov, feu mit uvq, sale mit avlr\, fol mit cpnvlog, car mit
yccQ, frz. senechal hielt er für zusammengesetzt aus lat. senex und
gr. äq/wv u. s. w. Um solche etymologische Gleichungen zu rechtfertigen,
konstruierte er öfters Zwischenstufen, wobei es indess nach unseren
heutigen Begriffen nicht immer ohne Gewalt herging: olxog und maison
vermittelte P. durch moigon, 6 Gvqov&iög und autruche durch hostruche,
xqofi(xvov und oignon durch onnyon, tiooxxäffd-cu und moquer durch
mokker, demveiv und diner durch dipner u. s. w. Auch grammatische
Eigentümlichkeiten des Französischen galten ihm als griechischen Ur
sprungs, z. B. der Artikel (das Latein hatte ja keinen), das Kelativum
lequel, das Passb dbfini und indefini, die Feminina auf -e u. a. m.,
und allen Ernstes glaubte er, die Herkunft des Französischen aus
dem Griechischen dargetan zu haben. P. hatte in einseitiger, aller
dings aus der Zeitströmung leicht zu erklärender Überschätzung
der Antike weit übers Ziel hinausgeschossen. Der Widerspruch gegen
seine Ansicht liess nicht lange auf sieh warten. Im Jahre 1569 1 2 ) er
schien eine Abhandlung des berühmten Humanisten Henricus Stephanus
(Henri Estienne) mit dem Titel ,Traictö de la conformite du language
frangois avec le grec‘; sie bezweckte, die Vorzüge des Französischen
vor dem Italienischen, das damals die Hofsprache sehr beherrschte, in das
gehörige Licht zu stellen, und zwar glaubte St. seine Absicht nicht besser
erreichen zu können, als indem er Übereinstimmungen zwischen seiner
Muttersprache und dem von den Renaissancemenschen so hoch ge
schätzten Griechisch feststellte und auf diese Weise die Gleichwertigkeit
und Ebenbürtigkeit, des Französischen erwies. Solche Analogien findet
er vor allem auf syntaktischem Gebiet, auch in der Verwendung griechi
scher Redensarten und Sprichwörter, und schliesslich gibt er eine Auf
zählung von Wörtern, die von französischen Schriftstellern dem Griechi-
1) Caesar, B. G. I, 29, 1: „In castris Helvetiorum tabulae repertae sunt
litteris Graecis confectae et ad Caesarem relatae quibus in tabulis nomi-
natim ratio confecta erat, qui numerus domo exisset eorum, qui arma ferre
possent, et item separatim pueri, senes mulieresque“. Ferner VI, 14, 3: „Neque
fas esse existimant [Druides] ea litteris mandare, cum in reliquis fere rebus,
publicis privatisque rationibus Graecis litteris utantur.“
2) Diese Jahreszahl trägt das mir vorliegende Originalexemplar der Ham
burger Stadtbibliothek; in Grob. Grdr. I, 22 wird fälschlich 1565 als Jahr des
Erscheinens angegeben. Ein Neudruck des Werkes ist von L. Feugöre, Paris
1853 veranstaltet worden.