Theodor Claufsen
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lov nicht fest; auch ist nicht recht klar, wie eine böotische Dialektform
sich in Sizilien einbürgern konnte. Undenkbar wäre aber ein derartiger
Zusammenhang nicht; die Sprachgeschichte kennt auch solche Zufälle.
9. Beispiele für gr. v mit der neugriechischen Aussprache i lassen
sich nur schwer namhaft machen, da man vielfach nicht sicher ist,
ein Buchwort anzuführen, das ein schriftlat. i = v bewahrt hat. Als
sichere Belege können etwa gelten: ä[ivloy, :k ägcvöov (§ 2,5) = ital.
ämido, frz. amidon, mgr. ßv^ärvig = ital. bisante, oqv^cc, ngr. gv&
(§ 16,1) = ital. riso, prov. ris, frz. riz, xvi-inavov (§ 3,7) = frz. timbre.
§ 15. Griechisches «.
1. Das gr. ca war eine offene Länge (9 wie frz. 0 ouvert z. B. in
encore), vgl. Blass S. 26, Kühner-Blass § 2,6, Hirt § 81,4, daher, wie
v. Planta, Gramm, der oskisch-umbrischen Dialekte I § 25 S. 68 erkannt
hat, das Oskische, wenn es griechische Schriftzeichen braucht, ca für
offenes 0, dagegen 0, das ja meist geschlossen gesprochen wurde
(§ 13), für geschlossenes 0 anwendet. Wenn die lateinische Schrift
sprache der metrischen Geltung entsprechend ö für gr. 0 und ö für
gr. w setzt, so stellt sie damit die qualitativen Verhältnisse auf den
Kopf. Das Volkslatein weist 5 als Entsprechung des gr. o> nicht nur
in solchen Wörtern auf, die es durch Vermittlung der lateinischen
Schriftsprache aus dem Griech. bezogen haben kann wie äga lat. (h)öra
= ital. ora, afr. oure, nfr. heure u. s. w., nelcaglda (S. 34)-lat. pelö-
rida = frz. palourde, acyxalcavla lat. ascalönia, *escalönia (§ 9) = afr.
escheloigne u. s. w., sondern merkwürdigerweise auch in solchen, die
zweifellos nicht auf diesem Wege entlehnt sind wie Akk. gcäya vlt.
s röcca = span, roca, ycagvzog vlt. *görutus — span, goldre (S. 41),
sodass die Vermutung, es sei das gr. ca dialektisch auch wie q ge
sprochen worden, nicht unbegründet erscheint.
2. In anderen Wörtern, die von den Römern den Griechen nur in
der mündlichen Unterhaltung abgelauscht sein können, wurde ca mit
dem Lautwert 9 herübergenommen. Beispiele: nxca%6g vlt. *pitoccus
(S. 39 u. § 7,1) — ital. pit9Cco (d’Ovidio Grob. Grdr. I, 519 hat diesen
Zusammenhang nicht durchschaut); gcayög (S. 33) vlt. *roccus = prov.
roc-s, frz. roc u. s. w.; goöyce (S. 34) vlt. *rocca = ital. rocca, frz.
röche u. s. w.,- aus vlt. *ora = caga erklärt sich zweifellos das viel
erörterte frz. 9r, pre als satzunbetonte Form (daher nicht diphthongiert);
vlt. *ora wird durch ital. (dial.) 9ra [vgl. Gröber ALL VI, 391] be
stätigt, ferner durch kymr. awr, körn, ür, er, bret. eur, welche Formen
Loth S. 135 richtig mit frz. 9r(e) zusammenhält, ohne sie aber deuten
zu können. Hierher gehört noch yhäacra vlt. *closa, glosa (§ 8, 1, B)
= ital. chiosa, glpsa, prov. glosa, afr. gipse (halbgelehrt); vielleicht
ist auch vlt. *ovum ,Ei‘ = ital. uovo, span, huevo, frz. oeuf etc. zu