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Auch Alexander Dumas spricht sich gelegentlich seiner Vor
rede zu „La Femme de Claude“ durchaus absprechend über die
Art aus, wie Corneille die Lösung eines solchen, kaum anders
als tragisch lösbaren, Konfliktes gibt. Er hält es schon für ein
Ding der Unmöglichkeit, daß ein Mädchen den Mörder ihres
Vaters weiter liebe, oder ihm gar Beweise dieser Liebe gebe,
und daß ein „Mörder“ die Tochter seines Opfers weiter mit seiner
Leidenschaft „verfolge“. Zu erwarten wäre, daß „la jeune fille va
maudire le meurtrier de son pere, le tuer peut-etre, en tout cas le
chasser ä jamais de so presence;“ denn daß die Hochzeit auf ein
Iahr aufgeschoben werde, das ändere nichts an der Sache.
Aehnliche Vorwürfe sind Corneille auch schon zu seinen
Lebzeiten von der Kritik gemacht worden, und fast scheint es,
als ob der reifere Dichter die Berechtigung dieser Kritik aner
kennen und sich selbst widersprechen möchte. Er gibt nämlich
in seinem „Examen du Cid“ ohne weiteres zu, daß es nicht
mehr zeitgemäß sei, die Lösung durch eine Heirat zu geben,
selbst eine bloße Hoffnung darauf entspreche nicht den Ansichten
der Zeit. Zu seiner eigenen Entschuldigung führt er zweierlei an:
1) die Lösung sei ihm gegeben, dadurch, daß er der Geschichte
folge, und 2) dürfe man eine definitive Lösung des Konfliktes
gar nicht behaupten, da in dem Wartejahr sich manches ändern
könne. Die Heirat sei zwar geplant, ob sie aber zustande kom
men werde, könne man nicht wissen.
Das letztere Argument ist so sophistischer Natur, daß man
kaum darauf einzugehen braucht; hätte Corneille wirklich diesen
Gedanken in seinen „Cid“ hineinlegen wollen, dann würde dieser
eben gar nicht mehr das sein, was wir in ihm bewundern. Nein,
hier müssen wir wohl den Dichter — der seine bessere Ueber-
zeugung vor der Kritik verleugnen will — vor sich selber in
Schutz nehmen: Alles kommt doch darauf an, welchen
Einblick uns der Dichter in das Herz der Heldin verschafft und
das zwiespältige Fühlen desselben zeigt; hiervon hängt es ab, ob
wir den Ausgang, die schließliche Vereinigung der Liebenden,
nicht bloß ertragen, sondern auch freudig mitgenießen können.
Es soll damit nicht geleugnet werden, daß man leicht ver
sucht ist, die Verwickelung für unlöslich zu halten und nur einen
tragischen Ausgang zu billigen. Wenn aber demungeachtet die
dramatische Behandlung Corneilles eine glückliche Lösung bietet,