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Rodrigo und Chimene angedeutet, und nun bricht Gormaz in
brutaler Weise plötzlich einen solchen Streit mit Rodrigos Vater
vom Zaune!
Gegen diese Einwendungen Cibbers läßt sich schwer etwas
sagen; denn man kann nicht bestreiten, daß das harte Fest
halten am Ehrbegriff, wodurch in der Folge ein Mädchen ver
anlaßt wird, unablässig das Haupt des geliebten Mannes zu be
gehren, etwas Barbarisches an sich hat, was ganz der Natur wider
spricht. Nur dann, wenn die Liebe selbst in ihrer Innigkeit zuerst
unser Mitgefühl erregt hat, und wir somit unmittelbar den reinen
Ursprung kennen, aus dem Ximenas finstere, heiße Leidenschaft
quillt, die es ihr unmöglich macht, im stillen Schmerze zu ent
sagen, werden wir die volle Bedeutung der Streitscene, auf der
die ganze Verwickelung sich aufbaut, verstehen können. Darum
wäre es — wie Cibber richtig hervorhebt — vielleicht glücklicher
gewesen, wenn auch Corneille von dem friedlichen Glücke der
beiden Liebenden, das hernach durch die Kränkung des alten
Diego gestört wird, seinen Ausgang genommen hätte. J )
Cibber führt dann in seinen Ausführungen folgendermaßen
fort: „Had we been better acquainted with the Merit and the
Dignity of his (sc. Carlos’) Passion for the Daughter of his
Enemy, before his critical Entrance on that Occasion, our
Imagination would have had a much higher Alarm at the first
Sight of them; and this was palpably evident from the different
Surprize his sudden Appearance gave in the „Heroick Daughter"
at London to what I observed it had in the same Scene of the
„Cid“ when acted at Paris.“
Viel Neues sagen diese Bemerkungen nicht; auf das Wesent
liche ist bereits hingewiesen worden. 1 2 )
1 ) Auch Bormann (a. a. O.) ist der Meinung, daß die Exposition des
„Cid“ unzureichend sei.
2 ) Wie hoch Cibbers letzte Bemerkung einzuschätzen sei, ist mir
leider unmöglich zu beurteilen oder gar nachzuprüfen. Interessant aber
zur Ergänzung der in Kap. II. gemachten Ausführungen über die Quellen
frage ist es zu hören, daß Cibber nicht nur die Druckausgabe des „Cid“
kannte, sondern daß er selbst einer Aufführung desselben in Paris beige
wohnt hat und somit wirklich Kenntnis hatte von den Aenderungen, die
man im Laufe der Zeit am Original vorgenommen hatte. Man wird kaum
in der Annahme fehl gehen, daß er seine Beobachtungen auch in seinem
Stück verwertet hat.