Full text: Leitfaden für den Unterricht in der deutschen Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der kulturgeschichtlichen Momente für die Oberstufe mehrklassiger Volks- und Mittelschulen

1. Die Westgoten. 
27 
Schuhen, den Kopf mit einer rauhen Pelzkappe. Zur Zubereitung 
ihrer Speisen brauchten sie weder Feuer noch Gewürz. Sie lebten 
von Kräutern, Wurzeln und Beeren oder von rohem Fleische, welches 
sie wie einen Sattel auf das Pferd legten, mürbe ritten und dann 
verzehrten. Sie hatten nur kleine, mit Schilf bedeckte Hütten. Um 
herschweifend durch Wälder, gewöhnten sie sich von Kindheit an Er 
tragung der Kälte, des Hungers und des Durstes. Auf unansehn- 
"cheii, aber ausdauernden Pferden waren sie wie angeheftet bei Tag 
und bei Nacht. Sie aßen und tranken, kauften und verkauften 
zu Pferde, auf dessen kurzen Hals gelehnt der Hunne zu schlafen 
pflegte. Krieg war ihre größte Lust. Mit gräßlichem Geschrei über 
fielen sie den Feind, stoben aber sogleich wieder auseinander, um 
mit der Schnelligkeit des Falken und mit der Wut des Löwen zum 
Angriff zurückzukehren und alles vor sich her zu Bodeu zu werfen. 
In der Ferne bedienten sie sich der Pfeile und Wurfspieße, deren 
Spitzen statt des Eisens mit scharfen Knochen besetzt waren; in der 
Nähe fochten sie mit dem Schwerte. Auch hielten sie eine Schlinge 
in Bereitschaft, welche sie über den Feind, der ihrem Hiebe ausge 
wichen war, warfen, um ihn mit sich fortzuschleppen. Dem Zuge 
der Männer folgten die schmutzigen, ungestalteten Weiber und Kinder 
auf zahllosen Karren. — Das Hereinbrechen dieses wilden Nomaden 
volkes in Europa veranlaßte eine allgemeine Bewegung der germa 
nischen Völkerschaften, deren Verlauf in der Geschichte der nam 
hafteren Stämme enthalten ist und die geschichtlich hochbedentsame 
Völkerwanderung genannt wird. 
Die Hunnen stießen zunächst auf den halbgermanischen Stamm 
der Alanen zwischen Wolga und Don, die sich ihnen zum größten 
Teil anschlossen, und zogen dann gegen die Ostgoten, deren König, 
der 110 jährige Hermanrich, an dem glücklichen Ausgange des 
bevorstehenden Kampfes verzweifelnd, sich selbst den Tod gab. Sein 
Nachfolger wurde besiegt, und die Ostgoten wurden teils unterworfen, 
teils in die Karpathen vertrieben. Als sie darauf die Westgoten 
angriffen, zogen diese an 200000 Kriegsmänner mit Weib und Kind 
über die Donau, während die Hunnen weiter nach Westen stürmten. 
Der römische Kaiser Valens hatte den Westgoten gestattet, sich auf 
römischem Gebiet niederzulassen. Bald aber empörten sie sich gegen 
die treulose Behandlung der kaiserlichen Beamten und durchzogen 
raubend und plündernd die Balkanhalbinsel. In der blutigen 
Schlacht bei Adrianopel 378 fiel Valens, und sein Nachfolger 
Theodosius schloß Frieden mit ihnen. Die Provinz Thrazien wurde 
ihnen überlassen, wo sie unter ihren Stammesfürstcn nach eigenen 
Sitten, jedoch unter römischer Oberhoheit lebten. Aber bald fanden 
sie abermals Veranlassung, zum Schwert zu greifen, das sie nur 
widerwillig mit dem Pfluge vertauscht hatten. Der Kaiser Theodo-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.