1. Die Westgoten.
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Schuhen, den Kopf mit einer rauhen Pelzkappe. Zur Zubereitung
ihrer Speisen brauchten sie weder Feuer noch Gewürz. Sie lebten
von Kräutern, Wurzeln und Beeren oder von rohem Fleische, welches
sie wie einen Sattel auf das Pferd legten, mürbe ritten und dann
verzehrten. Sie hatten nur kleine, mit Schilf bedeckte Hütten. Um
herschweifend durch Wälder, gewöhnten sie sich von Kindheit an Er
tragung der Kälte, des Hungers und des Durstes. Auf unansehn-
"cheii, aber ausdauernden Pferden waren sie wie angeheftet bei Tag
und bei Nacht. Sie aßen und tranken, kauften und verkauften
zu Pferde, auf dessen kurzen Hals gelehnt der Hunne zu schlafen
pflegte. Krieg war ihre größte Lust. Mit gräßlichem Geschrei über
fielen sie den Feind, stoben aber sogleich wieder auseinander, um
mit der Schnelligkeit des Falken und mit der Wut des Löwen zum
Angriff zurückzukehren und alles vor sich her zu Bodeu zu werfen.
In der Ferne bedienten sie sich der Pfeile und Wurfspieße, deren
Spitzen statt des Eisens mit scharfen Knochen besetzt waren; in der
Nähe fochten sie mit dem Schwerte. Auch hielten sie eine Schlinge
in Bereitschaft, welche sie über den Feind, der ihrem Hiebe ausge
wichen war, warfen, um ihn mit sich fortzuschleppen. Dem Zuge
der Männer folgten die schmutzigen, ungestalteten Weiber und Kinder
auf zahllosen Karren. — Das Hereinbrechen dieses wilden Nomaden
volkes in Europa veranlaßte eine allgemeine Bewegung der germa
nischen Völkerschaften, deren Verlauf in der Geschichte der nam
hafteren Stämme enthalten ist und die geschichtlich hochbedentsame
Völkerwanderung genannt wird.
Die Hunnen stießen zunächst auf den halbgermanischen Stamm
der Alanen zwischen Wolga und Don, die sich ihnen zum größten
Teil anschlossen, und zogen dann gegen die Ostgoten, deren König,
der 110 jährige Hermanrich, an dem glücklichen Ausgange des
bevorstehenden Kampfes verzweifelnd, sich selbst den Tod gab. Sein
Nachfolger wurde besiegt, und die Ostgoten wurden teils unterworfen,
teils in die Karpathen vertrieben. Als sie darauf die Westgoten
angriffen, zogen diese an 200000 Kriegsmänner mit Weib und Kind
über die Donau, während die Hunnen weiter nach Westen stürmten.
Der römische Kaiser Valens hatte den Westgoten gestattet, sich auf
römischem Gebiet niederzulassen. Bald aber empörten sie sich gegen
die treulose Behandlung der kaiserlichen Beamten und durchzogen
raubend und plündernd die Balkanhalbinsel. In der blutigen
Schlacht bei Adrianopel 378 fiel Valens, und sein Nachfolger
Theodosius schloß Frieden mit ihnen. Die Provinz Thrazien wurde
ihnen überlassen, wo sie unter ihren Stammesfürstcn nach eigenen
Sitten, jedoch unter römischer Oberhoheit lebten. Aber bald fanden
sie abermals Veranlassung, zum Schwert zu greifen, das sie nur
widerwillig mit dem Pfluge vertauscht hatten. Der Kaiser Theodo-