314 IV. Die neueste Zeit. 0. Das neue Deutsche Reich.
Kaiserwürde erneuerte. Am 18. Januar 1871 verkündete er mitten
im Feindeslande den um ihn versammelten Fürsten. Offizieren, Soldaten
und Volksvertretern, daß er für sich und seine Nachfolger die deutsche
Kaiserkrone annehme in der Hoffnung, „Gott wolle ihm verleihen, allzeit
Mehrer des DeutschenReiches zu sein, nicht an kriegerischen Eroberungen,
sondern an Gütern und Gaben des Friedens auf dem Gebiete nationaler
Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung". Als dann der Kaiser am 21. März
1871 den ersten Deutschen Reichstag eröffnete und die Vertreter
des ganzen deutschen Volkes begrüßte, wiederholte er noch einmal, daß
die Aufgabe des neuen Deutschen Reiches darin bestehen müsse, fortan
in dem Wettkampf um die Güter des Friedens sich ebenso als Sieger
zu erweisen, wie in den vorausgegangenen blutigen Kämpfen um
die schwer errungene Wiedervereinigung.
Das neue Deutsche Reich unterscheidet sich durch seine zeitgemäße
Verfassung wesentlich und vorteilhaft von dem alten (s. S. 265).
Es bildet einen Bundesstaat, in welchem jeder einzelne Staat
seine volle Selbständigkeit behalten hat; doch tritt derselbe einen Teil
seiner Gewalt an das gemeinsame Bundeshaupt, den Kaiser, ab.
Zm ganzen bilden 26 Staaten das Deutsche Reich, nämlich 1 Reichs
land, 3 freie Städte, 4 Königreiche, 5 Herzogtümer, 6 Großherzog
tümer und 7 Fürstentümer. Alle diese Staaten haben ihre gemein
same Vertretung im Auslande durch die Gesandten und Konsuln,
die zum Schutze der Reichsangehörigen in der Fremde bestellt sind;
sie haben eine gemeinsame Flagge (schwarz, weiß, rot) und die
selben Münzen, Maße und Gewichte.
Die Regierungsgewalt der Einzelstaaten mit Ausnahme der
Republiken der drei freien Städte, sowie die des ganzen Reiches ist
eine konstitutionell monarchische. Danach ist der Monarch
in seinen Regierungsmaßregeln durch Vertreter des Volkes beschränkt.
Die Volksvertretung der größeren Einzelstaaten besteht aus 2 Kam
mern, dem Hauseder Abgeordneten, vom Volke gewählt, und
dem Herrenhause, dessen Mitglieder zum größten Teil durch den
Fürsten aus dem Adel, der hohen Geistlichkeit und den Bürgermeistern
der größeren Städte ernannt werden. Die kleineren Staaten haben
»eben dem Regenten nur einen Landtag; die freien Städte werden
durch einen Senat und die B ü r g e r s ch a f t s v e r t r e t e r verwaltet.
Das Oberhaupt des Reiches ist der Kaiser, nämlich der jedes
malige König von Preußen. Deutschland ist also kein Wahl-
reich mehr, sondern ein erbliches Kaisertum. Der Kaiser be
ruft und schließt die beiden gesetzgebenden Versammlungen des
Reiches, den Bundes rat und den Reichstag, die ihren Sitz in
Berlin haben, beantragt und veröffentlicht die Reichsgesetze und
überwacht ihre Ausführung, führt den Oberbefehl über das Reichs
heer und die Marine und ernennt die höheren Offiziere und Reichs-