2. Die alten Germanen.
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die so weit sind, daß 800 Helden bequem neben einander durch eine
jede hindurchschreiten können; denn Odin selbst wählt die Helden, die
im Einzelkampf ihr Leben gelassen haben, für diese erhabene Wohnung
aus. Man nannte sie Einherier (Schreckenskämp fer). Gold
gelockte Götterjungfrauen, Walküren (die auf der Walstatt die
Helden für W a l hall küren), schweben im leuchtenden Brustharnisch
über den Schlachtfeldern, senken sich nieder auf die toten Helden,
erwecken sie mit ihrem Kuß und führen sie auf ihren Götterpserden
über die Brücke B i f r ö st (die „b e b e n d e R a st", der Regenbogen) nach
Asgard hin. Hier beginnt nun ein Leben voll Freude und Herrlich
keit. Jeden Morgen ziehen die Einherier hinaus auf den Kampf
platz vor der Götterburg, ordnen sich in zwei Heere, und unter
Kriegsgesang beginnt der Kampf. Speere sausen durch die Luft,
Schwerter schlagen Funken aus den Schilden, Kriegshämmer fallen
zermalmend auf die Helme nieder. Während des furchtbaren Ge
töses flechten Walküren im nahen Haine Kränze für die Sieger.
Ist das Feld mit Gefallenen bedeckt, so tritt Waffenruhe ein. Aber
über die Gefallenen haben Tod und Wunden keine Macht. Zur
Stunde der Heimkehr erwachen alle zum neuen Leben und kehren
nach Walhall zurück. Im Kreise der Götter trinken sie Met, der
unaufhörlich aus dem Euter der FiegeHeidrun strömt, und essen das
Fleisch des goldborstigen Ebers S ä h r i m n i r, des See-Verdeckcndcn,
welches die wunderbare Eigenschaft besitzt, daß es, obgleich es täglich
gesotten und verspeist wird, doch abends wieder frisch und unver
sehrt ist. Die Göttin Freya selbst und die Walküren kredenzen den
Met und die Speise; durch liebliche Gesänge wird das Mahl ge
würzt. So verband sich die Vorstellung der alten Germanen von
dem Leben nach dem Tode aufs engste mit ihren Begriffen von
Tapferkeit und Mannestreue, von Heldenmut und Kampfeslust.
Die ganze Welt von Niflheim über Midgard hinaus bis Asgard
stellte nach dem Glauben der alten Germanen einen großen Baum,
die Esche Ygdrasil (SÄreckensträger), vor, die ihre Zweige bis über
den Himmel erstreckte. Drei Wurzeln halten den Stamm aufrecht.
Die eine geht nach Niflheim zu dem Quell des Urstoffs H v e r g e l m t r,
die andere nach Jötunheim zu dem weisen Riesen M i m i r (Gedächt
nis), der aus einem Horn trinkt, das im Baum verborgen und das
Auge O d i n s ist. Die dritte Wurzel ist da, wo die drei Schicksals-
göttinen, die N o r n e n, walten. Hier ist der wunderbare Urdhs-
Brunnen, dessen Wasser aus dem Quell aller Zeiten sprudelt und
so rein und heilig ist, daß alles, was hineinfällt, weißer zurückkehrt
als „das Häutchen im Ei". Mit diesem Wasser netzen die Nornen
die Esche, und der Nebel, der davon aufsteigt, erfrischt die Erde mtt
dem Tau. Wenn die Nornen die Esche einmal nicht mehr pflegen
und nähren würden, müßte sie zu Grunde gehen; denn viele feind-