2. Die alten Germanen.
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ein Gefolgsmann sich von seinem Häuptling entfernen, so hatte er
dazu dessen Erlaubnis nötig; mit ihm hatte er seinen Gewinn an
Beute und Ruhm zu teilen.
Die alten Germanen berieten gemeinsam ihre Angelegenheiten in
den Volksversammlungen, an denen alle Freie eines Gaus oder
eines Stammes teilnahmen. Diese wurden gewöhnlich zur Zeit des
Vollmondes, meistens zweimal im Jahre, abgehalten. Unter freiem
Himmel, auf der Mahl- oder Dingstätte, einer weiten Wiesenfläche
an einem Abhang oder einem Duell, versammelte man sich. Die
Priester eröflneten die Verhandlungen, indem sie Llläbe auf die
Erde warfen und aus den eingeritzten Zeichen (Runen) den Willen
der Götter erforschten. Darauf begann die Beratung unter dem
Vorsitz des Gau- oder des Stammesfürsten. Dieselbe erstreckte
sich auf kriegerische Unternehmungen, Verteilung des Ackerlandes,
sowie auf aufzustellende Rechte und Gesetze. Denn geschriebene Ge
setze kannten unsere alten Vorfahren nicht; die Rechte des Einzelnen
wie ganzer Gemeinden, die durch Übereinkommen bestimmt waren,
lebten von Mund zu Munde fort und wurden unverbrüchlich ge
halten. In den Volksversammlungen wurden ferner die Jünglinge
wehrhaft gemacht; auch Ehen wurden dort geschlossen, indem die
Versammelten um Mann und Frau einen Ring bildeten und dadurch
die beiden als Verlobte anerkannten. Endlich wurden auch Streitig
keiten zwischen einzelnen Personen und ganzen Gemeinden ent
schieden, und zwar durch den Eid oder das Gottesurteil (Ot d a l).
Letzteres bestand meistens in einem Zweikampf, worin dem Sieger
das Recht zugesprochen wurde. Oftmals wurden auch Unfreie zum
Lohn für besondere Thaten feierlich vor versammeltem Volke von
ihren Herren freigegeben, mit den Waffen begabt und unter die
Zahl der Gemeinfreicn aufgenommen. Sehr häuflg waren mit den
Volksversammlungen die alten Opferfeste verbunden, wodurch sie
ein besonders feierliches Gepräge erhielten. _ Mit fröhlichen Spielen
und sestlichen Gelagen wurden sie dann beschlossen.
Der Götter glaube der alten Germanen zeugt von einer-
reichen Gedankenwelt und einem tiefen Gefühlsleben. Nach ihrer
Vorstellung war im Anfang die Welt ein gähnender Abgrund.
Darin lebte und wirkte der Geist Alsaturs (Allvater). All
mählich bildete sich am Nordende des weiten Raumes ein dunkles,
kaltes Gebiet, Niflheim (Nebelheim) genannt, am Sühende ein
heißes, Helles: Muspelheim (Flammenwclt). Mitten zwischen
den beiden Gebieten entstand ein Riesenpaar in Menschengestalt.
Die Söhne dieses Paares waren Odin, W il l i und W e, die drei
obersten Götter. Diese erschlugen den Riesen Amir, und in dem un
ermeßlichen Blut, das aus seinen Wunden strömte (der S i n t fl u t), er
tranken alle übrigen Riesen, außer Bergelmir, der sich mit seinem