2. Das Städtewesen.
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als Waisen erklärte. Dann warf er einen aus Weiden geflochtenen
Strick über sich weg, die Freischöffen spieen aus, und der Name
des Verfemten wurde in das Blutbuch eingetragen.
War der Angeklagte bei der Verurteilung nicht gegenwärtig
gewesen, so wurde ihm das Urteil schriftlich mit dem Siegel des
Freigrafen ausgefertigt. Alle Freigrafen und Freischöffen waren
nun verpflichtet, den Verfemten, wo sie ihn fanden, zu greifen und
das Urteil an ihm zu vollstrecken. Doch mußten immer wenigstens
drei Freischöffen dabei zugegen sein. Man knüpfte gewöhnlich den
Verurteilten an einem Baum auf, in dessen Stamm man als Wahr
zeichen der Feme ein Messer steckte. Doch durfte man ihm nichts
abnehmen, damit nicht Raubmörder die Rolle der Feme spielten.
War der Angeklagte vor dem Richterstuhl erschienen und seiner That
geständig oder derselben überführt, so wurde das Urteil an Ort und
Stelle an ihm vollzogen; denn das Femgericht befaßte sich nur mit
solchen Verbrechen, auf welchen der Tod stand.
Die heimlichen Gerichte besaßen zu ihrer Zeit eine außerordent
liche Macht. Die Ladung des schlichten westfälischen Freigrafen
wurde mehr gefürchtet als des Kaisers Gebot; gewaltige Fürsten
beugten sich vor ihm und erschienen in Westfalen. Aber in dem
Rechte der Feme lag auch zugleich der Keim zu groben Mißbräuchen.
Allmählich schlichen sich Parteilichkeit, Willkür und Leidenschaft ein,
und da später die Einsetzung des Reichskammergerichtes die Rechts
pflege in Deutschland einheitlich regelte, ging das „heimliche Gericht"
wit dem Ende des 15. Jahrhunderts ein.
2. Das Ztiidteuiesen.
Während das Rittertum mehr und mehr verfiel, entwickelten
sich zu immer kräftigerer Blüte die deutschen Städte. Sie haben
Handel und Gewerbe, neben der Landwirtschaft die beiden bedeu
tendsten Erwerbszweige des Volkes, begründet und verbreitet, die
Rn Rittern und Mönchen mehr und mehr abhanden gekommene
Bildung gepflegt und den Sinn für Freiheit in den Zeiten des
starren Feudalwesens gewahrt.
In ihrem Äußeren glichen die Städte bei ihren Anfängen
ls. S. 44, 54 und 62) eigentlich großen, eingefriedigten Dörfern. Die
Ringmauern schlossen Äcker und Gärten ein; die Mehrzahl der
Einwohner trieb Landbau. Erst im 12. Jahrhundert begannen die
Städte allmählich, sich ihres altbäuerlichen Gewandes zu entkleiden.
Die Äcker, Weinberge und Gärten im Mauerbezirk verschwanden;
Re meisten Plätze wurden bebaut; in jeden Winkel drangen der
Handel und das gewerbliche Leben ein. An eine regelmäßige
^Straßenanlage war freilich nicht zu denken. Die großen Höfe des
Böe, Deutsche Geschichte. 8