Full text: Leitfaden für den Unterricht in der deutschen Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der kulturgeschichtlichen Momente für die Oberstufe mehrklassiger Volks- und Mittelschulen

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II. Das Mittelalter. E. Das erste Interregnum. 
das Lösegeld abgequält. Dabei kam viel Grausamkeit und Willkür 
vor. Wenn ein Raubritter einem Gefangenen die Hand abhieb, 
so sah man darin kaum etwas Besonderes; denn gerade diese Art 
von Verstümmelung war zur Sitte geworden. Aber ebenso oft 
hatte das Landvolk von den Raubrittern zu leiden. Man drang in 
das Dorf ein, raubte die Habe, verwüstete die Vorräte und schleppte 
die Männer mit sich fort. Zm unterirdischen Burgverließ mußten 
die Armen dann in Moder und Unrat, vor Kälte und Hunger 
fast sterbend, warten, bis die Angehörigen ein Lösegeld herbeigeschafft 
hatten, das meistens ihre Kräfte weit überstieg. Darüber verging 
nicht selten eine so lange Zeit, daß den Unglücklichen auf ihrem 
entsetzlichen Lager unterdessen die Beine förmlich abfaulten „Einen 
Bauer verfaulen" war der allgemein bekannte und ohne Scheu 
angewandte Ausdruck für solch barbarischen Gebrauch. 
Die Räuber hießen im Volksmunde Wegelagerer, Krippen 
reiter, Schnapphähne, Stegreif/itter u. s. w. Äußer- 
offenbarem Raub machten sie sich auch der gröbsten Erpressung durch 
aufgelegte Zölle und auferzwungenes Sicherheitsgeleite schuldig. 
Namentlich die Rheinschiffahrt wurde durch die Zölle sehr belästigt. 
Die Ufer des Rheines waren dicht mit Burgen besetzt, und ihre 
Besitzer forderten von jedem vorbeisegelnden Schiff einen Zoll. Noch 
heute zeugen die zahlreichen Ruinen am Rhein von den" damaligen 
Raubburgen. 
Da Recht und Gerechtigkeit vor Gericht nicht zu finden war, 
konnten die Stegreifritter ungestraft ihr schändliches Gewerbe fort 
setzen. Darum thaten sich in dieser Zeit die meisten Städte zu 
Bündnissen zusammen, um sich gegen die Raubritter zu schützen 
und mit vereinter Macht gegen die hartnäckigen Friedensbrecher vor 
zugehen. Man rückte vor ihre Burgen, und wenn es gelang, sie 
einzunehmen, wurden sie von Grund aus zerstört. 
Auch in anderer Weise suchte man sich gegen die zunehmende 
Rechtsunsichcrheit zu schützen. Namentlich trugen die Femgerichte 
dazu bei. Unter Karl d. Gr. hatten alle Gerichte unmittelbar unter 
dem Kaffer gestanden, der sie durch Grafen verwalten ließ. Als 
aber später die Grafen eigene Landesherren wurden, eigneten sie 
sich die Gerichtsbarkeit in ihren Gebieten an; nur in wenigen reichs 
unmittelbaren Gebieten erhielten sich die alten kaiserlichen Gerichte. 
Fast am längsten war dies der Fall in Westfalen, auf der sog. 
roten Erde, wo die Herren meist Geistliche waren und die vielen 
freien Grundbesitzer strenge an der hergebrachten Sitte hingen. Ein 
„Freigraf" richtete dort noch lange als kaiserlicher Bevollmächtigter. 
Selbst als auch Westfalen unter mehrere kleinere Fürsten verteilt 
wurde, mußte der Freigraf, der oft ein einfacher Landmann war, 
von dem Landesfürsten als „Stuhlherr" dem Kaiser vorgestellt
	        
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