54
Das weibliche Geschlecht gilt als besonders zu tabischen Frak
turen disponiert. So zeigen einige Statistiken, daß in der Hälfte
aller Fälle Frauen es sind, die von der Verletzung betroffen
(Bougle, Flatow). Dies muß um so auffälliger erscheinen, als ja
das männliche Geschlecht in der Vei’breitung der Tabes bei weitem
überwiegt. Die Ursache nun dieser seltsamen Beobachtung liegt
nicht in der Disposition des weiblichen Geschlechtes, vielmehr in
einem leicht nachweisbaren Fehler der Statistik. Wie ich schon
oben erwähnt, schöpfen die bisherigen Statistiken alle aus derselben
Quelle, nämlich aus älteren französischen Arbeiten, die zum
großen Teil aus der Salpetriere hervorgegangen; hier aber fanden
damals nur weibliche Kranke Aufnahme. Daher dominiert das
weibliche Geschlecht in den französischen Veröffentlichungen und
den auf ihnen basierenden statistischen Zusammenstellungen. Unter
unseren eigenen 11 Beobachtungen finden sich nur 2 Frauen, unter
den anderweitig publizierten ist von 57 Personen, bei denen das
Geschlecht angegeben,. 10mal das weibliche befallen, also etwa in
Vr, der Fälle. Diese Differenz entspricht ungefähr der im Auftreten
der Tabes überhaupt. Die Lehre von einer besonderen Disposition
des weiblichen Geschlechts zu tabischen Knochenbrüchen ist damit
in das Reich der Fabel zu verweisen; das überwiegende Befallen
sein der Frauen im Gegensatz zu dem größeren Anstrengungen
und äußeren Gewalteinwirkungen mehr ausgesetzten männlichen
Geschlecht diente stets der neurotischen Theorie als wichtige Stütze.
Die Frakturen treten vielfach multipel auf. So finden wir in
der Zusammenstellung von Flatow in 32 Beobachtungen 17mal
mehrere Brüche bei demselben Individuum verzeichnet; während
wir in unseren eigenen 11 Krankengeschichten dieses Ereignis nur
2 mal beobachten konnten (Fall 9 und 11). Auch in unserer neueren
Arbeiten entstammenden Statistik finden wir die Multiplizität der
Brüche keineswegs so häufig verzeichnet; von 61 Fällen wiesen
nur 7 mehrfache Frakturen auf, und zwar 5 mal 2, je 1 mal 4
bezw. 7 Brüche an demselben Individuum. Die beiden letzten
Beobachtungen, in denen man wohl allein von einer wirklichen
Häufung der Brüche sprechen kann, sind von Krünlein und
Bowlby beschrieben. Krönlein demonstrierte die Knochen einer
Frau, die an Tabes litt und nach 7jährigem Aufenthalt in einer
Heilanstalt zugrunde gegangen war. Die Frakturen, die meist
wieder verheilt, betrafen den Schenkelhals und die Ulna, außerdem
war die Scapula 2 mal, das Becken 3 mal gebrochen. Die Patientin
von Bowlby war bereis 17 Jahre tabisch und litt seit 12 Jahren