Wenn ich die vorliegende Arbeit Knochenbrüche bei Tabes und
nicht Spontanfrakturen betitelt, so sind verschiedene Gründe hierfür
bestimmend gewesen. Erstens sind in der Literatur, auf die ich
mich in meinen Untersuchungen stützen muß, unter Spontanfraktur
alle die Kontinuitätstrennungen zusammengefaßt, die sich nur durch
ihr schmerzloses Auftreten von dem gewöhnlichen Entstehungs
modus unterscheiden. Ferner ist es gerade bei der Eigenart der
tabischen Erkrankung in vielen Fällen unmöglich, eine scharfe
Grenze zwischen spontaner und traumatischer Entstehung zu ziehen;
es gibt so zahlreiche Übergänge, daß, wollte man alle irgendwie
zweifelhaften Fälle ausscheiden, die Zahl der Beobachtungen sich auf
ein Minimum reduzieren ließe. Schließlich ist gerade für das Ver
ständnis der sogen, spontanen Frakturen die Entstehungsweise der
nicht spontanen Knochenbrüche bei tabischen Individuen von großer
Wichtigkeit.
Nachdem Gurlt in Deutschland, Weir Mitchell in Amerika
auf die eigenartige Entstehung und das häufige Vorkommen von
Knochenbrüchen bei Tabikern hingewiesen, haben Charcot und von
Bruns den Zusammenhang dieser Ereignisse mit der Bückenmarks
affektion näher studiert und zu begründen versucht. Groß ist seit
dem die Kasuistik angewachsen, zahlreich sind die Abhandlungen,
die sich mit diesem Thema befassen, und doch gibt es in dem
großen Gebiet der Erkrankungen und Verletzungen des Knochen
systems kaum ein zweites Leiden, über dessen Ätiologie auch heute
noch so viel Dunkel gebreitet ist, wie über die Ursache der tabischen
Spontanfrakturen.
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