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treunungen auftreten, wenn man sieht, mit welcher Wucht gelegent
lich der ataktische Tabiker seine Füße auf den Boden setzt, wie
er im Anfall leichten Schwindelgefühls hastige Bewegungen mit
seinen Extremitäten ausführt und dergleichen mehr. Gerade die
relative Seltenheit der tabischen Frakturen überhaupt, ihre Bevor
zugung der langen Röhrenknochen und besonders der unteren
Extremitäten, also jener Skeletteile, die den stärksten Belast
tungen und den häufigsten mechanischen Insulten ausgesetzt sind,
das Auftreten der Frakturen zu einer Zeit, wo das Knochensystem
noch keine atrophischen Veränderungen zeigt, sollte den Gedanken
an einen trophoneurotischen Knochenprozeß nicht aufkommen lassen.
Würde der Knochen des ataktischen, aber sonst noch kräftig ge
bauten und sich viel bewegenden Tabikers wirklich an lokalen oder
verbreiteten ossalen Störungen leiden, so müßte er in viel höherem
Maße der spontanen Kontinuitätstrennung ausgesetzt sein.
Mögen wir nun die Spontanfrakturen im frühesten präatak
tischen, mögen wir die im ataktischen Stadium auftretenden, bei
denen fehlende oder ganz geringe Veränderungen des Skeletts die
verminderte Widerstandskraft des Knochens nicht zu erklären ver
mögen, vor Augen haben, der Ausfall normaler Muskelfunktion bei
mehr oder weniger aufgehobenem Knochengefühl scheint uns das
wichtigste ätiologische Moment der echten tabischen Kontinuitäts
trennung zu sein.
Die Bedeutung der Muskulatur als Stütze des Knochens scheint
uns bisher von klinischer Seite viel zu wenig bewertet worden zu
sein. Man hat sich wohl daran gewöhnt, den Knochen als einen
Stützpunkt der Muskeln anzusehen; die umgekehrte Auffassung aber
der Muskulatur als eines die Festigkeit und Tragfähigkeit des
Knochens wesentlich steigernden Organs findet nur ausnahmsweise
ihre gebührende Würdigung. Eine genaue Abschätzung der die
Knochenstärke erhöhenden Muskelkraft existiert nach unserer
Kenntnis der einschlägigen Literatur bis auf den heutigen Tag
nicht. W 7 ir kennen wohl das Leistungsmaß der verschiedensten
Muskeln und die Belastungsgröße der einzelnen Knochen, aber nicht
die Summe beider Kraftmomente in ihrer Wirkung aufeinander.
In Messerers klassischen Experimenten über die Elastizität
und Festigkeit der menschlichen Knochen findet der Einfluß, den
die Muskulatur auf die Widerstandskraft des Knoclieus ausübt,
keine Beachtung.
M. schreibt nur am Schlüsse seiner Arbeit: „Da endlich die Festig
keit der Weichteile nach dem Tode eine andere ist als jene der lebenden