Full text: Knochenbrüche bei Tabes und deren ätiologische Stellung

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Ein Vergleich der anatomischen Angaben mit den klinischen 
Daten, soweit solche vorhanden, drängt uns die Frage auf: liegt 
hier wirklich eine spezifisch nervöse Osteopathie vor oder lassen 
sich die schweren Veränderungen nicht auch durch eine allgemeinere 
Ursache erklären? 
Der viel zitierte Fall Heydenreichs betrifft einen Mann 
mittleren Alters, der seit 10 Wochen tabetisch war und an In 
continentia alvi et urinae litt. Nun wissen wir, daß Individuen 
mit Motilitätsstörungen der Harnwege und des Intestinaltraktus 
chronischen Intoxikationen ausgesetzt sind, daß die Blasenstörung 
bald zu einer Niereninfektion führt und durch diese dann der 
Kräfte- und Ernährungszustand erheblich beeinträchtigt wird 
Eine Koinzidenz dieser Faktoren kann auch nicht ohne nachteilige 
Wirkung auf das Knochensystem bleiben. Dazu kommt, daß der 
Mann an einer schweren Phlegmone zugrunde ging, deren Eiter 
den verletzten Knochen umspülte; aus dieser lokalen Eiterung 
läßt sich auch unschwer die Differenz im Atrophie zustande bei 
der Femora erklären. 
ln allen drei Fällen von Bougle handelt es sich um weit 
vorgeschrittene Stadien der Rückenmarkserkrankung; der erste 
Patient war 26 Jahre tabisch und völlig gelähmt; der andere 
Mann litt bereits an Kontrakturen, Muskelatrophieen und heftigen 
gastrischen Krisen; die Frau ging, nachdem sie lange Jahre in 
Siechenhänsern zugebracht, an Marasmus zugrunde. Marantische 
Atrophie und Inaktivität erklären in diesen Fällen zur Genüge 
die rarefizierenden Prozesse, ohne daß hier die Annahme einer ner 
vösen Ostitis erforderlich wäre. 
Bei den Blanchardschen Beobachtungen fehlen klinische 
Daten bis auf die Angabe, daß die untersuchten Knochen aus vor 
gerückten Stadien der Erkrankung stammten. Wenn nicht inter 
kurrente Krankheiten dem Leben früher ein Ende machen, ver 
fallen Tabiker meist einem langen Siechtum, sie werden gelähmt 
und erliegen schließlich den Folgen einer Cystitis oder einer De 
cubitus. Stirbt solch’ ein Kranker im vorgerückten Stadium seines 
Leidens, so besteht jedenfalls die Möglichkeit, wenn nicht Wahr 
scheinlichkeit, daß etwa vorhandene Knochenveränderungen ihre 
Erklärung in allgemeinen Konstitutionsverhältnissen finden. Deshalb 
können auch die Blanchardschen Befunde nicht ohne weiteres 
im Sinne einer für Tabes charakteristischen ossalen Affektion ge 
deutet werden. Die bisher für trophoneurotische Störungen ausge 
gebenen mikroskopischen Veränderungen lassen sich ungezwungen
	        
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