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Krankheiten« (Nolte) ohne Beteiligung des Gehirns zu
schrieben, vertraten andere Forscher auf das bestimmteste
die Anschauung, dem Leiden liege eine Erkrankung des
Gehirns zu Grunde. Diese war nach der Ansicht der einen
primär entstanden, nach der anderer erst sekundär als Folge
sonstiger nervöser Erscheinungen, die durch eine krankhafte
Veränderung des Magens hervorgerufen oder allgemeiner
Natur waren. Daß neben der primären psychischen Er
krankung auch eine solche des Körpers auftrete, wurde mit
der damals herrschenden Annahme begründet, daß in den
Organen, auf die lange Zeit in gesteigertem Maße das Denken
gerichtet war, und die den Schauplatz für besondere Emp
findungen boten, sich schließlich anatomische Veränderungen
im Sinne dieser Gedanken und Gefühle entwickeln könnten.
In der überwiegenden Mehrzahl der Beschreibungen
aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts wird die Hypochondrie
als Nervenerkrankung angesehen, nur wenige Autoren schildern
sie schon damals als Psychose. Unter diesen findet sich
Griesinger, der die Hypochondrie als die mildeste Form
des Irreseins den psychischen Depressionszuständen zurechnet
und besonders hervorhebt, daß trotz der Gemütsverstimmung,
die aus starkem körperlichen Krankheitsgefühl hervorgehe,
doch die äußere Besonnenheit lange erhalten bleibt, die
falschen Vorstellungen logisch verarbeitet und mit im
Bereich des Möglichen liegenden Gründen gerechtfertigt
werden. »Eben durch diesen Mangel eigentlicher Geistes
verwirrung erscheint die Hypochondrie wesentlich als schwer
mütige folie raisonnante.«
Einen Wendepunkt in der Auffassung über die
nosologische Stellung der Hypochondrie bezeichnet das Jahr
1880, in welchem Beard seine vielgelesene Monografie der
»nervous exhaustion« veröffentlichte. In dem Hasten und
Treiben des amerikanischen Lebens bot sich ihm ein über
reiches Material, auf das gestützt er ein klares, abgeschlossenes
Bild der Neurasthenie zu geben vermochte. Seit diesem
Zeitpunkt ist die Auffassung, die Hypochondrie sei eine
selbständige Krankheit, von der Mehrheit der Forscher fallen
gelassen. Sie wird als eine Teilerscheinung, von R. Arndt
sogar als Kardinalsymptom des neurasthenischen Irreseins