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Ein solcher Fall kam in der Psychiatrischen Klinik
zu Kiel zur Aufnahme. In folgendem seien die Er
scheinungen und der Verlauf der Krankheit wiedefgegeben:
Chr. L. 56 Jahre alt. Fischer aus Eckernförde.
Patient wird von seiner Frau gebracht am 17. Juni 1905.
Sie gibt zur Anamnese an:
Hereditäre Belastung liegt nicht vor.
Blutsverwandtschaft der Eltern besteht nicht.
Über Kinderkrankheiten des Patienten ist nichts bekannt.
In der Schule hat er immer gut und leicht gelernt.
Nachdem Patient 1870—71 bei der Marine gedient
hatte, hat er immer fleißig in seinem Beruf als Fischer
gearbeitet. Er trank wenig. Im Jahre 1875 verheiratete er
sich. Von 9 Kindern starben 6 während der Geburt, die
übrigen 3 in den ersten Lebensjahren. Beferentin hat nie
abortiert.
Außer einmaliger Erkrankung an Rheumatismus war
Patient bis 1902 stets gesund. Seit diesem Jahre ist er
wegen eines Magenleidens arbeitsunfähig. Beschwerden von
seiten des Magens hatte er schon seit 1896. 1903 wurde er
in der Kieler Medizinischen Klinik behandelt
(Chronischer Magenkatarrh, Hyperacidität, Pylorusstenose laut
Krankengeschichte der Medizinischen Klinik). Seit der Zeit
blieb er wegen des Magenleidens zu Hause stets in ärztlicher
Behandlung. Im Sommer 1904 wurde Patient in der Armen
anstalt zu Eckernförde, wo er wegen Erkrankung der
Referentin sich aufhielt, auf das Steinpflaster geworfen und
klagt seitdem über Schmerzen in der rechten Seite. Seit
der Zeit jammert er viel. Er ist immer in schlechter
Stimmung, klagt, er habe stets schlechten Geschmack im
Munde, sein Magen verdaue nicht mehr, er könne nicht gehen,
habe keinen Stuhlgang mehr (tatsächlich erfolgt er ziemlich
häufig).
Im Februar 1905 versuchte Patient sich zu erhängen.
Von Referentin abgeschnitten erholte er sich nach 10 Minuten
von seiner Bewußtlosigkeit, schrie darauf fortwährend : »Mutter
wo bin ich? Was ist mit mir passiert?« Seit der Zeit
will er nicht mehr allein sein. Kein neuer Erhängungs-
versuch.