Full text: Ein Beitrag zur Frage der nosologischen Stellung der Hypochondrie

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ein auf die Differentialdiagnose gegenüber der Melancholie 
(sekundäre Entstehung der Verstimmung, geringere Heftigkeit 
der Angst, der Mangel jeder Selbstvorwürfe, leichtere Ab 
lenkbarkeit), gegenüber der Paranoia (das Fehlen ausge 
sprochener Wahnbildung, des Projizierens der Sensationen 
auf die Umgebung, des Verfolgungs-, Beziehungs- und 
Größenwahns), gegenüber der Hysterie (schwächere Suggesti- 
bilität, geringerer Wechsel der Symptome, das Fehlen von 
Stigmata). 
Schließlich kommt er zur Aufstellung folgender Leitsätze: 
1. Die Hypochondrie ist eine selbständige, in sich 
abgeschlossene Krankheitsform, die aber mit Vorliebe auf 
dem Boden der Neurasthenie, seltener der Hysterie sich 
entwickelt; zu beiden Krankheitsgruppen existieren fließende 
Übergänge. 
2. Bei scheinbarem Übergang einer hypochondrischen 
in eine andere Psychose handelt es sich meist um das 
hypochondrische Vorstadium einer andersartigen Irreseinsform. 
Die richtige Deutung solcher Fälle von Pseudohypochondrie 
stößt nur im Beginn des Leidens und bei kurzer Beobachtungs 
dauer auf Schwierigkeiten. 
Noch verschiedene Forscher stehen auf dem hier ver 
tretenen Standpunkt. Sie heben durchweg hervor, daß, wenn 
auch oft Übergänge zwischen Neurasthenie und Hypochondrie 
bestehen und Mischformen ungemein häufig sind, doch schon 
der Umstand, daß der Neurastheniker kein Hypochonder, 
der Hypochonder kein Neurastheniker zu sein brauche, es 
verbiete, die eine Krankheit der andern einzuverleiben. Groß 
ist auch ferner der Unserschied, daß die Neurasthenie in 
ihrer chronischen Form die geistige und körperliche Arbeits 
fähigkeit auf ein Nichts herabsetzt, die Hypochonder dagegen, 
mit Ausnahme der am schwersten erkrankten, noch jahrelang 
ihrem Berufe nachgehen können, zwar stets unglücklich in 
dem Gefühl ihres unheilbaren Siechtums, aber doch imstande 
ihren Platz auszufüllen. 
Wenn wir, ohne die Frage des Verhältnisses der 
Hypochondrie zur Neurasthenie weiter zu berücksichtigen, 
die Definitionen betrachten, die in stattlicher Anzahl aus 
alter und neuer Zeit vorliegen, so ergibt sich dabei zugleich
	        
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